Wie bist du zur Physiotherapie gekommen?
Ich habe 1975 meine Ausbildung zur Physiotherapeutin in Erlangen abgeschlossen und hatte dort eine Gynäkologielehrerin, die mich begeistert hat. Nach meiner Ausbildung habe ich dann auf einer gynäkologischen Station angefangen und habe dort vor allem Wöchner*innen betreut und Rückbildungskurse gegeben. Bis ich mein erstes Kind bekommen habe, habe ich dort gearbeitet. In der Praxis meiner Schwiegereltern habe ich angefangen nach der Geburt meines Kindes Rückbildungs- und Geburtsvorbereitungskurse zugeben. Irgendwann sind dann in der Praxis für die Behandlung mit mir auch Männer und Kinder aufgetaucht. Das erste Kind, was ich behandelt habe, hatte die Diagnose Analatresie und da war ich total überfordert, weil ich keine Ahnung hatte, was das bedeutet. So bin ich in das Thema hineingewachsen. Dieses erste Kind wurde mir von einem Chirurgen aus München geschickt, über den dann auch der Kontakt zu der Selbsthilfegruppe Soma kam.
Was heißt denn Analatresie?
Das bedeutet, dass ein Kind geboren wird ohne, dass es einen Ausgang am Anus hat. Der Anus ist also nicht vollständig angelegt. Das fällt nicht immer direkt auf bei der Geburt, weil es vorkommt, dass der Anus von außen normal aussieht, aber innerlich nicht ausgebildet ist. Der Körper sucht dann eben einen anderen Ausgang und bildet einen Fistelgang zum Damm, zur Harnröhre oder zur Vagina und dort kommt dann das Mekonium an heraus.
Wie kann man das behandeln?
Die Kinder werden normalerweise schnell behandelt. Zunächst wird ein Kolostoma oder Illeostoma operiert und je nach körperlichem Zustand des Kindes wird es nach drei bis sechs Monaten erneut operiert.
In dieser OP wird der Enddarm aufgesucht, nach unten gezogen und an der richtigen Stelle befestigt. Dieser Zug nach unten hat bei vielen Kindern später auch Auswirkungen auf die Haltung. Die Kinder können den Stuhl dann an der Stelle des Anus ablassen. Bei der Op wird mit Elektrostimulation um den Anus herum geschaut, wie der Schließmuskel arbeitet. Es ist ganz wichtig, dass die Kinder da in gute erfahrene Hände kommen. In der Physiotherapie sehen wir die Kinder dann oft beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, wenn es den Eltern wichtig ist, dass die Kinder sozial kontinent sind. Bei diesen Kindern arbeitet man dann meistens mit Spülungen, damit der Darm richtig entleert wird und es nicht zu weiteren Schädigungen oder ungewollten Entleerungen kommt.
Was ist die Soma?
Das ist eine Selbsthilfegruppe von Erwachsenen, die selber betroffen sind oder Kinder haben, die betroffen sind. Die Soma hat mir damals Literatur aus den USA besorgt. Ich habe mit dem ersten Kind, welches ich behandelt habe, Videos gedreht und diese auf den Versammlungen gezeigt. Daraufhin haben sich die Eltern aus der Selbsthilfegruppe natürlich gefragt, wo sie so eine Therapie finden. Also habe ich mit Astrid Landmesser einen Kurs für Beckenbodentherapie für Kinder entwickelt.
Wenn der Anus nicht vorhanden ist, wie sieht es dann mit der Beckenbodenmuskulatur aus? Der Sphinkter Anus externi ist rudimentär angelegt, man sieht da in der Eletkro- Stimulation in Narkose, dass Kontraktionen vorhanden sind, aber das reicht für eine vollständige Kontinenz meistens nicht aus. Man muss sich das so vorstellen, dass der Darm irgendwann in der 6-12. Lebenswoche in der Embryonalentwicklung aufgehört hat zu wachsen. Die Kinder haben oftmals noch mehr Fehlbildungen, zum Beispiel kann das Steißbein fehlen, sodass der levator ani nicht richtig verankert ist. Aber der Körper ist ziemlich schlau und verankert den levator mit Hilfe von Bindegewebe und den verbleibenden knöchernden Strukturen, sodass er funktionsfähig ist. Je nach Höhe der Darmschädigung, ist die Funktionsfähigkeit der unterschiedlichen Schließmechanismen unterschiedlich ausgeprägt.
Wie ist das mit dem Wachstum der Kinder nach der OP: Wachsen die Strukturen mit oder gibt es Folgeoperationen?
Mit der Operationsnarbe am Anus haben die Kinder eigentlich keine Probleme. Die Narbe muss nach der OP von den Eltern bougiert werden, nicht damit der Anus größer wird, sondern, damit der Anus sich nicht wieder zusammenzieht. Das ist natürlich für Eltern und Kinder nicht schön.
Wie funktioniert es dann mit der Kontinenz?
So lange die Kinder Windeln tragen können, muss man nicht groß eingreifen. Einige Schulen stellen sich auf die Kinder ein, sodass sie dann auch die Lehrer*innentoilette benutzen dürfen und es einen Schrank mit Wechselklamotten für sie gibt. Man fängt dann mit Darmspülungen an, die den Darm vom Stuhl so weit befreien, sodass das Kind während der Zeit in der Schule keinen Stuhl verliert. Über das Spülen lernt der Darm nicht wahrzunehmen, wann die Füllung da ist, aber man muss dann schauen, was wichtiger ist. Die Kinder lernen das Signal des Darmes aber irgendwann von weiter oben wahrzunehmen und wissen dann, dass sie reagieren müssen, weil das Verschlusssystem am Anus nicht so ausgeprägt ist, dass es eine 100% Kontinenzleistung zu Stande bringt.
Wenn die Kinder zur Physiotherapie kommen: Was passiert dann?
Mit den kleinen Kindern, die zu uns kommen, geht es zunächst darum, ob die Kinder das überhaupt möchten, weil nur dann bringt die Therapie etwas. Dann beginnen wir mit ganz viel Aufklärung. Je nach Alter der Kinder, haben wir andere Möglichkeiten. Wir arbeiten über die Haltung. Dann über die Systeme, die zu dem Beckenboden arbeiten, also die Mundarbeit, Fußarbeit und Atmung. Die Chance kontinent zu werden ist dadurch gegeben. Die betroffenen Personen lernen mit dieser Schwachstelle des Körper umzugehen.
Was möchtest du Kolleg*innen und Eltern mitgeben?
Meinen Kollegi*innen, die sich für dieses Thema interessieren, würde ich den Kinderkurs empfehlen. Fachlich gesehen, gibt es ganz viele Beiträge auf der Seite der Soma. Dort gibt es auch eine Auflistung mit Ärzt*innen, an die man die Eltern verweisen kann. Auch für Eltern ist die Webseite super. Die zentrale Stelle der Soma sitzt in Süddeutschland, aber es gibt in ganz Deutschland regionale Stellen, die gute Arbeit leisten.
Was möchtest du noch sagen?
Ich ziehe mich jetzt ja aus meiner Referentinnenarbeit zurück, aber ich biete Supervisionen für Kolleg*innen an, die mit gewissen Fällen nicht weiterkommen. Dafür kann man mich gerne kontaktieren.
Neugierig geworden?
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