Wie kann ich mir denn Elektrotherapie für den Beckenboden vorstellen?
Erstmal ist das nichts Schlimmes, das hat nichts mit einem Stromschlag zu tun und tut nicht weh. Elektrotherapie wird als Hilfsmittel und zusätzlich zur Physiotherapie angewendet. Wir können die Elektrotherapie nutzen, um den Beckenboden präsenter zu machen und ihn in seiner Spannung, die er zu viel oder zu wenig hat, unterstützen, damit er in einen Spannungsausgleich kommt. Es gibt verschiedene Frequenzen, die je nach Problem ausgewählt werden. Man kennt ja vielleicht das EMS-Training aus dem Fitnessstudio, so ähnlich funktioniert das, aber gezielt für den Beckenboden.
Wie kann ich mir das dann vorstellen, zieht man eine Hose mit Elektroden an?
Es gibt so etwas Ähnliches wie eine Hose, aber die finden wir nicht so gut. Wir verwenden externe Klebeelektroden oder natürlich auch intrakorporal Elektroden, die vaginal oder rektal eingeführt werden und somit direkt an der Muskulatur ansetzen.
Merke ich das überhaupt?
Es kann tatsächlich mal sein, dass jemand nicht so viel spürt, aber die meisten merken ein leichtes Kribbeln. Es gibt auch eine Grenze bis an die man regulieren darf, daher ist es eigentlich nie schmerzhaft. Es gibt drei Frequenzen, die man anwenden kann. Einmal, um den Muskel zu entspannen, ihn in seiner Kraft zu unterstützen oder die Schmerztherapie. Diese drei Frequenzen fühlen sich auch etwas unterschiedlich an.
Wie finde ich denn heraus, welche Frequenz ich brauche?
Da sagen wir ganz klar, niemals ohne physiotherapeutische Untersuchung! Man sollte sich eine Therapeut*in mit physio pelvica Fortbildung suchen, die ausgebildet ist eine vaginale oder rektale Untersuchung zu machen. Erst dann kann ich wirklich entscheiden, was ich für einen Muskeltonus habe und welche Frequenz ich somit brauche.
Und was ist besser die Klebelektronen oder die intrakorporal Elektroden?
Das hängt natürlich auch immer vom Problem ab, aber grundsätzlich nutzen wir gerne die internen Elektroden, weil man dann eben näher am Wirkungsort ist. Aber es gibt Indikationen, zum Beispiel die Drangblase, die zusätzlich unbedingt von außen bearbeitet werden muss. Der Blasenmuskel ist nämlich autonom, d.h. wir können unseren Blasenmuskel nicht aktiv ansteuern, daher setzen wir über das Segment also die Nerven von außen an. Häufig ist diese Symptomatik mit einem verspannten Beckenboden gekoppelt, weil die Blase uns ja den ganzen Tag von innen drängt und der Beckenboden dagegenhalten muss. Bei einer Drangblase setzen wir also gerne von außen für das Segment und von innen für die Beckenbodenmuskulatur an.
Und wie funktioniert dann eine Behandlung?
Auf dem Rezept bzw. der Heilmittelverordnung, die die Patient*innen von den Ärzt*innen bekommen, muss Krankengymnastik und Elektrotherapie stehen. Erst dann können wir in der Praxis die Elektrotherapie anwenden. Wir gehen so vor, dass wir den Patient*innen das Gerät zeigen, erklären und gemeinsam schauen, ob die Patient*innen das auch zuhause anwenden können. Dann können sie sich das Gerät für zuhause verschreiben lassen und meistens für drei Monate von den Krankenkassen mieten. Das Gerät sollte dann parallel zur Physiotherapie zuhause verwendet werden.
Es gibt ja ganz unterschiedliche Geräte: EMS, TENS und EMG, kannst du uns mehr dazu sagen? EMS und TENS sind beides Geräte zur Muskelstimulation, aber das TENS ist ein Schmerzprogramm, bei der die Frequenz sehr viel höher ist, um den Schmerz sozusagen zu überlagern. Das EMS ist dafür da, den Muskel zu aktivieren, also anzuspannen.
Und dann gibt es ja auch noch EMG-Geräte, das sind die so genannten Biofeedback-Geräte, die die Muskelaktivität darstellen. Man kann also schauen: kann ich meine Muskulatur anspannen und auch entspannen. Das kann einen auch animieren dranzubleiben und zuhause zu üben. Auch bei den EMG-Geräten würde ich empfehlen die in Begleitung mit Physiotherapie anzuwenden, weil man dann einfach schauen kann, ob zum Beispiel nach einer Geburt Mikroverletzungen vorhanden sind, ob ich richtig anspanne oder ob ich nicht doch auch Verspannungen in meiner Muskulatur habe. Man kann mit den EMG-Geräten tatsächlich sehr gut schummeln, denn es misst auch alle Muskelanspannung in der Nähe des Gerätes, d.h. wenn ich meinen Po oder auch meine Muskulatur innen an den Oberschenkeln sehr doll anspanne, misst das Gerät ebenfalls Anspannung und das wollen wir ja eigentlich nicht. Es ist also sehr sinnvoll jegliche Geräte in Kombination mit Physiotherapie zu nutzen.
Was sagst du zu den Magnetfeldstühlen?
Grundsätzlich ist es so, dass eine Aktivierung entsteht. Ich habe selbst mal auf einem gesessen. Ich persönlich bin durch die Beckenbodenstimulation in einen so hohen Tonus geraten, sodass ich Mühe hatte da wieder rauszukommen. Auch hier gilt: nur mit Untersuchung vorheriger physiotherapeutischer Untersuchung. Man muss erstmal schauen, ob man das überhaupt braucht, denn eine Entspannung damit ist eher schwierig. Aber ich könnte mir vorstellen, dass der Stuhl gerade für ältere Menschen, die zum Beispiel Demenz oder Parkinson haben, hilfreich ist, um die Wahrnehmungsfähigkeit zu unterstützen. Also aktivierend ist es auf jeden Fall, aber mir war es zu viel.
Gibt es Kontraindikationen für die genannten Geräte?
Ja, für den Stuhl könnten tatsächlich wegen der Magnetfelder Herzschrittmacher problematisch sein, da bin ich mir allerdings unsicher. Generell unterteilen wir in absolute und relative Kontraindikationen. Die absoluten sind natürlich, wenn der Patient*in das nicht möchte. Das steht natürlich als Grund ganz vorne. Weitere Kontraindikationen sind Hautirritationen, Infektionen, wenn die Frau ihre Periode hat, Schwangerschaft, Krebserkrankung nach Bestrahlung und Chemotherapie, aber da kann man individuell schauen und sich mit den Ärzt*innen beraten.
Du hast ja vorhin beschrieben, wie die Elektrotherapie bei der Drangblase funktioniert. Kann ich denn auch kommen, wenn ich unter Belastungsinkontinenz leide?
Ja, und da ist ganz wichtig, dass wir einen Beckenboden Check-Up machen, weil auch bei einer Belastungsinkontinenz kann entweder eine Schwäche oder eine zu hohe Spannung der Beckenbodenmuskulatur die Ursache sein. Bei Patient*innen mit Belastungsinkontinenz nutzen wir sehr gerne Kombigeräte aus EMG und EMS, weil man so besonders gut das rechtzeitige Anspannen und dann wieder das Entspannen üben kann, die Koordinationsfähigkeit der Muskulatur wird somit gut trainiert.
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