Wie bist du auf dieses Thema gekommen?
Ich habe 14 Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet und war dort auf allen Stationen, aber besonders zur Wochenbettstation habe ich mich hingezogen gefühlt. Ich hatte dann 2012 mit meinem Sohn keine schöne Geburt, dass hat da sicher auch mit reingespielt.
Was genau bedeutet eigentlich der Begriff „Trauma“? Danke für die Frage! Das ist gerade für Betroffene sehr wichtig zu verstehen, um die Symptome besser einordnen und sich selber besser verstehen zu können. Wenn wir jetzt über ein traumatisches Erlebnis rund um die Geburt sprechen, können das eben auch schon Ereignisse in der Schwangerschaft sein, wo uns vielleicht viel Angst gemacht wurde oder wir starke körperliche Beeinträchtigungen erfahren haben. Wir erleben in der traumatischen Situation ganz viel Ohnmacht, Hilflosigkeit und ein starkes Angstgefühl. Diese Gefühle, waren in der Situation so intensiv, dass sie sich nicht so leicht abschütteln lassen und bis in die Gegenwart hineinwirken können. Es kann sein, dass das Ereignis schon Monate oder Jahre her ist und sich immer noch anfühlt wie gestern. Wichtig ist, dass das eine normale Reaktion auf ein überwältigende Situation ist, die starke Gefühle in uns auslöst.
Wie bemerke ich denn, wenn das Geburtsereignis mich überwältigt hat?
Das eigene subjektive Erleben ist dabei ausschlaggebend. Andere Personen können oft nicht nachvollziehen, wie die Situation sich für uns selber angefühlt hat. Es ist also wichtig, dass wir als Betroffene uns verstehen und die Symptome einordnen können.
Häufig ist es so, dass man nicht zur Ruhe kommt, starke Gefühle der Wut auf sich selber, den Partner oder auch das Personal hat, hinzu können Gefühle der Ohnmacht oder Hilflosigkeit kommen. Diese Gefühle kommen aus dem Nichts durch bestimmte Auslöser, wie zum Beispiel das Baby Weinen. Aber auch körperliche Schmerzen, Taubheitsgefühle, der Wunsch sich zurückzuziehen oder alles kontrollieren zu wollen, können Symptome eines Traumas sein. Unser Nervensystem ist in einem so genannten Übererregungsmodus, weil unser System denkt, dass wir uns noch immer in der überfordernden Situation befinden. Wir kommen also nie zur Ruhe.
Gibt es präventive Maßnahmen, um mich auf die Geburt vorzubereiten?
Natürlich ist es total wichtig sich vorzubereiten und zwar so, dass wir das Gefühl haben, dass es für uns richtig ist. Da ist die Frage: „Was brauche ich, damit ich mich sicher fühlen kann?“, ausschlaggebend. Ich finde es total wichtig, dass wir informiert in die Geburt gehen, aber trotzdem kann es natürlich zu nicht vorhersehbaren Ereignisse kommen. Geburtsvorbereitungskurse sind keine Garantie für eine schöne Geburt. Ich erlebe es ganz oft, dass Frauen sich Vorwürfe machen, dass sie noch den einen anderen Kurs hätten machen sollen, aber gleichzeitig sehe ich auch, dass man diese Vorwürfe in der Aufarbeitung gut auflösen kann und die Frauen sich ihrer Leistung bewusst werden. Man wird sich bewusst, dass unser Handlungsspielraum in der Situation gar nicht so groß war.
Wenn ich von den beschriebenen Symptomen merke, dass die auf mich zutreffen. Wo finde ich Unterstützung?
Das ist ein ganz wichtiges Thema, weil viele Frauen sehr isoliert mit dem Thema sind. Erster Schritt ist die betreuenden Fachpersonen anzusprechen und dann gibt es einige Stellen wie www.schatten-und-licht.de oder das Hilfetelfon schwierige Geburt, an die man sich immer unverbindlich wenden kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, Fachpersonen auszuwählen, die sich in dem Bereich auskennen und einen wertfreien Raum bieten können.
Wenn ich als Fachperson eine Patient*in habe, bei der ich Symptome für ein Geburtstrauma vermute. Wie gehe ich damit um?
Ich finde es ganz wichtig die Vermutung vorsichtig anzusprechen. Das funktioniert oftmals gut, in dem man einfach beschreibt, was man als Therapeut*in feststellt, zum Beispiel: „Ich merke, du bist ganz unruhig..“. Es kann sein, dass die Frau dann auch ins Erzählen kommt, weil sie das Gefühl hat, dass sie endlich jemand sieht und wahrnimmt. Ich finde es wichtig, dass man als Physiotherapeut*in dann auch unterbrechen darf, wenn man das Gefühl hat die Frau kommt jetzt in eine Überwältigung. Man kann dann fragen: „Tut es dir gut darüber zu sprechen oder kommt alles wieder hoch?“. Wenn die Frau ein Trauma erlebt hat, kann sie ganz schlecht selber wieder aussteigen und merken, dass ihr das gerade nicht gut tut. Außerdem ist es ganz wichtig vorsichtig und sensibel nach Geburtserlebnissen zu fragen und nicht nur nebenbei. Es ist dabei gut aufzuzeigen, dass die Patient*innen selber Grenzen setzen dürfen. Patient*innen wenden oftmals Vermeidungsstrategien an, weil sie sich natürlich mit dem Ereignis am liebsten gar nicht mehr auseinandersetzen wollen. Fachpersonen dürfen sich da auch selber den Druck nehmen, dass sie das Problem jetzt auflösen müssen, es ist schon ein guter erster Schritt die richtigen Adressen weiterzugeben.
Wir haben über Vermeidung gesprochen. Würdest du sagen, dass es niemals zu spät ist?
Ja auf jeden Fall! Das Trauma entwickelt sich mit der Zeit, wir finden Strategien und unseren Umgang, aber selbst wenn unsere Familienplanung abgeschlossen ist, kann es andere Situationen wie ein Krankenhausaufenthalt oder Erzählung anderer über ihre Geburt geben, die das Erlebte wieder hervor holen. Ich habe auch Frauen bei denen das 10 Jahre oder noch länger her ist, es ist wirklich nie zu spät!
Du bist ja auch Yogalehrerin und machst mit Patient*innen Körperübungen. Magst du uns eine Übung verraten?
Das muss überhaupt nichts Großes sein, Blanceübungen sind zum Beispiel super. Ich zeige gerne die Baumhaltung sie erfordert, dass wir uns fokussieren und aktiviert die innere Balance. Alles was die Energie nach unten bringt, alle Übungen in den wir quasi Wurzeln schlagen, können hilfreich sein.
Magst du nochmal erklären, was denn eine Körperübung mit der Verarbeitung seelischer Ereignisse zu tun hat?
Trauma ist wirklich etwas, was sich auf alle Bereiche auswirkt. Gerade in der Vorbereitung auf die Verarbeitung sind solchen stabilisierenden Übungen, die ich gut in meinen Alltag integrieren kann, sehr hilfreich. Der Körper manifestiert, dass wir nicht mehr in Sicherheit sind und wenn ich mit der Körperarbeit beginne, kann ich meine Wahrnehmung wieder üben. Der Baum ist eine sehr gute Übung, weil er uns total in die Gegenwart bringt, sobald wir anfangen zu denken, fallen wir um. Was nicht in der Aufarbeitung passieren sollte, ist , dass wie uns direkt reinstürzen. Es braucht ganz viel Stabilisierung und einen Aufbau innerer Sicherheit und das kann zum einen über den Körper passieren oder auch durch verschiedene mentale Übungen. Ein weiterer wichtiger Punkt von Körperübungen ist, dass ich als Betroffene das Gefühl habe, dass ich wieder etwas tun kann und mich wieder selbstwirksamer fühle.
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