Beckenboden To Go – Folge 71: Rektusdiastase

Könntest du uns anatomisch erklären, was eine Rektusdiastase ist?

Mir ist ganz wichtig, dass wir das Strukturelle und das Funktionelle voneinander trennen. Das strukturelle Problem ist eine überdehnte Linea Alba, also auseinander stehende Muskelbäuche der geraden Bauchmuskulatur. Diese Überdehnun entsteht durch immer wiederkehrenden oder dauerhaften Druck gegen die Bauchwand. Darunter liegt die Funktionsstörung der Muskulatur. Diese Funktionsstörung ist dann das, was die Rückenschmerzen, die Beckenbodenprobleme, Verdauungsprobleme und so weiter verursacht. Das muskuläre Ungleichgewicht kann auch dazu führen, dass man sich instabil fühlt oder auch das Gefühl hat, gar keine Kontrolle mehr über den Bauch zu haben. 

 

Um mit der Rektusdiastase zu arbeiten, nutzt du ja die Tupler-Technik, was genau ist das?

Zusammengefasst geht es darum, die Muskelfunktion wiederherzustellen und das Gewebe unter den geraden Bauchmuskeln wieder fester zu bekommen. Die Erfinderin der Tupler-Technik, hatte damals in den 90ern das Ziel die Rektusdiastase zu schließen. Der heutige wissenschaftliche Stand sieht das ein ein bisschen anders, aber trotzdem finde ich, dass die Technik ihre Berechtigung hat. Die Übungen sind sehr wirkungsvoll und wenn es dabei gelingt die Diastase zu schließen ist das natürlich super, aber es geht vor allem darum, dass die Personen sich wieder gut in ihrer Haut fühlen. Die Technik besteht aus vier Schritten. Jeder beginnt mit dem selben Trainingsplan und die vier Schritte geben den Rahmen. 

 

Die Technik beginnt damit, dass man einen Gurt trägt. Dieser Gurt hat keine festen Bestandteile und soll uns bei der Aktivität helfen. Der Gurt soll die geraden Bauchmuskeln annähern, damit das Gewebe zwischen den geraden Bauchmuskeln nicht dauerhaft gestresst ist. Wenn man auf der Matte seine Übungen macht und dann aufsteht, schiebt die Schwerkraft den Bauch wieder nach vorne und alles dehnt sich wieder auf. Der Gurt ist da super als Begrenzung und Unterstützung für die Muskulatur. 

 

Der zweite Schritt sind die Übungen. Diese Übungen gehen intensiv auf die Körpermitte und man kommt dabei ganz schön ins Schwitzen. 

 

Schritt Nummer drei ist der Einsatz dieser in Schritt zwei auftrainierten tiefen Bauchmuskulatur im Alltag. Dabei geht es darum, wie man die Muskulatur beim Heben, Tragen, Kinder versorgen ect. richtig einsetzen. 

 

Der vierte Schritt besagt, dass wir lernen sollen uns über die Seite hinzulegen und aufzustehen. Aufstehen und Hinlegen machen wir mindestens zweimal am Tag und wenn wir kleine Kinder haben, auch nachts sehr häufig. Das gerade Aufstehen und Hinlegen ist so eine enorme Belastung für die geraden Bauchmuskeln, dass wir uns mit dem seitlichen Aufstehen und Hinlegen einfach was sehr Gutes tun. Optimalerweise kommen wir mit der Technik an den Punkt, wo die Dinge einfach passieren, ohne dass wir mit Anstrengung einen Plan abarbeiten. Häufig sind es die Gewohnheiten, die wirklich den Unterschied machen. 

 

Das Programm ist sehr flexibel. Du kannst es in jeder Lebensphase machen. Vielleicht nicht in jeder Lebensphase gleich intensiv, aber das was geht, ist immer noch besser als nichts. 

 

In was für Zeiträumen spielen sich die unterschiedlichen Schritte ab?

Wenn wir uns jetzt den Gurt anschauen, ist das ganz schwierig pauschal zu beantworten. Die Meisten legen den Gurt tatsächlich zu früh ab. Wenn das Bindegewebe noch nicht fest genug ist und die Alltagsbewegungen noch nicht verinnerlicht sind, kann es sein, dass die Diastase wieder auf geht. Die pauschale Angabe ist; der Gurt kann abgelegt werden, wenn die Diastase möglichst nah beieinander liegt, so 2-3 Querfinger und das Gewebe dazwischen schön fest ist. Wenn man sich dann irgendwann gut kennt, kann man auch anfangen zu experimentieren und den Gurt zum Beispiel nur bei körperlicher anstrengender Arbeit zu tragen. 

 

Das heißt, es geht auch in das körpertherapeutische? 

Ja genau, das Fühlen ist für mich das absolute A und O. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr fällt mir auf, wie wenige sich in ihrem Körper befinden. Das Ziel ist es, wieder ein gutes Körpergefühl zu erlangen. Das ist auch für das Training wichtig, weil die Strukturen, die wir beüben wollen, sehr tief liegen. Es ist nicht einfach seine tiefe Muskulatur zu erspüren und anzusteuern, das braucht Ruhe, Übung und Geduld. 

 

Was machst du an emotionaler Arbeit über deine physiotherapeutischen Maßnahmen hinaus? Alleine der Gurt hat oftmals eine sehr krasse Wirkung. Es kommt oft vor, dass beim Anlegen des Gurtes viele Emotionen hochkommen. Auch das gezielte Atmen hat das Potential sehr emotional zu wirken. Das Erlernen der Bauchatmung ist für viele eine sehr große Herausforderung. Die Tupler-Technik beinhaltet tatsächlich viel was in Richtung Körpertrauma-Therapie geht ohne, dass es so beabsichtigt ist. Ich frage da schon auch immer ab wie die Geburten und das Wochenbett ect. waren und schaue mir jede Patientin individuell an. 

 

Hast du noch etwas, was du ergänzen magst?

Ja, das sage ich auch immer gerne: Wenn wir das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt mit unserem Körper, dann ist das auch so. Hör hin und suche dir Hilfe! 

 

Danke liebe Katrin! 


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