Beckenboden To Go – Folge 62: Beckengesundheit

Bärbel ist Physiotherapeutin und wir werden im Laufe des Gespräches noch darauf kommen, worin Bärbel ihren Doktortitel gemacht hat und was Bärbel alles noch für tolle Ideen und Studien und wahnsinnig viel für das Thema Frauengesundheit. 

 

Ich würde aber gerne ganz von vorne starten: Seit wann bist du Physiotherapeutin?

Ich bin seit 1993 Physiotherapeutin, seit 1996 Manual Therapeutin mit dem OMPT-Examen. 

 

Wie bist du denn zur Beckengesundheit oder Beckenbodengesundheit gekommen? Dann als junge Physiotherapeutin?

Also bei mir war das eigentlich so, dass ich mich so ungefähr seit 2000 Beckenbodenspezialistin nenne. Zuerst noch in Verbindung mit Lower pelvic backpain dem Beckenboden. Und habe dann tatsächlich 1999 die erste Studie gemacht mit Ultraschall. Und dann das auch bei einem Kongress in Bamberg vorgestellt beimDeutschen Kontinenzkongress vorgestellt. Im Grunde genommen ist es wirklich so, dass Icheigentlich mit meiner Ausbildung bei Christine Hamilton ganz viel in diesen Jahren gelernthabe, wo es darum ging, einfach die Interaktion zwischen Beckenboden und Bauchmuskeln nicht so zu kennen. 

 

Und ich fand diese Studien von damals so klasse, dass ich mich da so ein bisschen rein gearbeitet habe und dann bin ich irgendwie abgebogen zum Beckenboden. 

 

Aber der Zeitraum ist ja gar nicht so groß. Wenn ich überlege, es gibt ja Menschen, die machen ihr Physio Examen und gehen dann so nach 20 Jahren in die Frauengesundheit. Also du hast dich schon relativ früh entschieden, oder? Ja, das kann man schon sagen. Also wie gesagt, ich war dann erst mal so 2 -4 Jahre in einem ambulanten Becken Reha Zentrum und habe ganz normal in der Praxis gearbeitet. Ich habe dann diese UMT-Ausbildung gemacht und habe dort gelernt wie wichtig es ist, dass man evidenzbasiert arbeitet und dass man einen Background hat. Und das war damals eine Studie, die von der Gruppe in Australien kam, von der Joint Stability Group eben, und Christine Hamilton hat die Kurse in Deutschland geleitet. Und dann war es für mich so, dass ich das gemacht habe und es eigentlich super spannend fand und mich davon völlig inspiriert gefühlt habe. 

 

Hattest du damals schon studiert und den Doktortitel oder bist du so als Physiotherapeutin und Manualtherapeutin in diese Studie eingetreten?

Ja, da bin ich eigentlich nur als Manualtherapeutin eingestiegen. Ich habe gerade durch diese Studien etwas Background gehabt und habe dann ein paar Assistenzen bei der Christine Hamilton gemacht. Das war damals auch die ersten Studien, die so richtig evidenzbasiert waren. Und dann kam Christine irgendwann mal von einem Kongress zurück und meinte „wow, die haben da Ultraschall gemacht und haben da irgendwas mit der Blase gemacht. Die Blase hat sich da bewegt und so.“ Und das war der Kongress in Perth, wo eine Studie vorgestellt wurde. Ich war damals schon so ein bisschen mit Beckenboden im Kontakt, weil meine Patientinnen immer gefragt haben, ob es eigentlich sein kann, dass die Blase besser wird, seit sie die Rückentherapie bei mir machen und dann habe ich immer gesagt, dass es so ist. 

 

Ich war damals aber eigentlich nicht daran interessiert, Beckenbodentherapeutin zu werden. Dann kannte ich noch einen Chefarzt, der noch niemals davon gehört hat, dass sich die Blase bewegt, der uns dann gezeigt hat, wie man einen Ultraschall an der Blase durchführt. Und dort haben wir dann unsere erste Studie mit gesunden Frauen und mit Frauen, die unter Inkontinenz leiten und die Frage war: Kann man Blasenbewegungen bei Frauen sehen? Und kann man da was machen? Unsere Studie hieß: Inkontinenz: Eine Frage der Kraft oder der Wahrnehmung? Damals haben wir gesagt, dass es mehr um die Wahrnehmung, als um die Muskelkraft geht. 

 

In welchem Jahr sind wir da?

Das ist das Jahr 1999/2000. Der Kongress, in dem ich das präsentiert habe hieß damals noch Gesellschaft für Inkontinenz Hilfe. Da war die Tatsache, dass da eine Physiotherapeutin kommt und eine Ultraschall Studie macht und präsentiert, der Hammer. Ich glaube auch, dass ich deshalb eingeladen war, weil das schon eine krasse Geschichte war. Die Ergebnisse der Studie habe ich dort dann präsentiert. 

 

Wie ging es dann weiter? Dann waren die Ergebnisse nicht ganz schlecht und dann habe ich beschlossen, dass ich die in Australien mal vorstellen müsste und habe das dann auch getan. Da habe ich dann Ruth kennengelernt und wir haben dann 6 Wochen lang anfängliche Studien für die Ultraschallstudien bekommen. Und da habe ich dann Auflagen bekommen, wie ich in Australien studieren kann. In Deutschland gab es damals noch keine Studiengänge dafür. Hier in Deutschland habe ich dann nach Kooperationen gesucht und ich durfte dann im Studiengang Public Health an der Universität Ulm als Studentin studieren. 

 

Wissenschaftliches Arbeiten lernt mal als Physiotherapeutin nicht, man hatte es bedingt in der OMT-Ausbildung, aber habe das dann an der Uni gelernt und durfte auch Klausuren mitschreiben und hatte dadurch Leistungsnachweise, die ich in Australien einreichen konnte. Dann war ich immer noch auf der Suche nach einer Kooperation in Deutschland, was im Jahr 2001 noch merkwürdig war. Ich habe viele Gynäkologen und Urologen aufgesucht, an Universitäten, in Zentren an verschiedensten Standorten. 

 

Diese Kooperationen brauchtest du, um die Studie hier fortführen zu können?

Nein, die Studie habe ich in Australien gemacht, aber ich hatte damals schon Ideen für weitere Studien. Das war eine Grundlagenstudie und ich wollte auch klinische Studien machen. Ich hätte damals auch in Australien studieren dürfen, also Bachelor, Master und PHD. Aber ich wollte das hier ausbauen, da ich hier meine Praxis hatte und privat gebunden war. Ich habe mich aber nicht abwimmeln lassen und bin noch zwei weitere Male nach Australien und habe dort diese Studie dann durchgeführt. Das alles auf eigene Kosten. Da ging es um die Interaktion von Bauch- und Beckenbodenmuskeln miteinander. 2010 wurde diese Studie dann veröffentlicht. 

 

Warum war dir das so wichtig?

Ursprünglich war das ja gar nicht so dein Gebiet? Ich weiß es nicht. Es hat mich alles einfach so dermaßen interessiert, ich bin ein so neugieriger Mensch. Ich finde Wissen sexy. Das ist einfach eine Form von Biss, die ich habe. Und ich habe Durchhaltevermögen. Es interessiert am Ende niemanden, ob man seinen Abschluss macht. Die Ergebnisse interessieren die Leute, aber den Abschluss macht man nur für sich. Und natürlich hat es mich interessiert, ob meine erste Studie richtig ist. Und ich wollte einfach wissen, warum manche Frauen so oder so anspannen. Und da wollte ich einfach wissen, was ist denn nun wirklich eine Beckenbodenentspannung. 

 

Wie ging es weiter?

Wichtig ist der Kontakt zu der Ruth Sethsforth. Ruth ist eine tolle Grand Dame Physiotherapeutin, die immer Beckenbodentherapeutin war, eher aus der alten Schule kam, aber dann ganz interessiert an den neuen Studien war. Dass es da was anderes gibt, fand sie total spannend und sie war damals schon an die 70 und hat mit Anfang 70 noch ihren Doktor gemacht. Ruth war diejenige, die mich in Australien mit der Kaven Baessler zusammengebracht, derzeit Präsidentin von der AGUB. Wir haben uns dann erstmal telefonisch besprochen und im Jahr 2006 haben wir uns in Berlin getroffen, wo sie derzeit als Leiterin an der Beckenboden-Charité angefangen hat. Da haben wir uns dann zusammengetan und Ideen geschmiedet. Mittlerweile arbeiten wir seit 17 Jahren zusammen. 

 

Das war der Beginn der ganzen Forschung und dann geht’s einfach weiter. Du hast vom motorischen Lernen gesprochen, warum ist das so wichtig? Mir war es immer ein bisschen unlogisch, wenn eine Frau bspw. schwanger ist und an Gewicht zunimmt und nach einer Geburt die Beckenboden auf einmal zu schwach sein sollten. Leuchtete mir nie ein. Bei den Männern ist das nach einer Prostatektomie noch anders, die bekommen einen Katheter und sind danach inkontinent. Das alles war immer komisch für mich. Mir war klar, dass die motorische Kontrolle bei Menschen mit Rückenschmerzen verloren gegangen ist. Die Muskeln sollen bereits vor bspw. dem Niesen arbeiten und diese Vorarbeit bzw. Verzögerung ist den Menschen mit diesen Beschwerden verloren gegangen. Und bei den Rückenschmerzpatienten ist es so gewesen, dass sie obwohl sie keine Rückenschmerzen mehr da waren, die Verzögerung immer noch Bestand hat. Und dass eine Geburt zu solchen Schwierigkeiten führen kann, liegt einfach daran, dass wir da auch anatomische Veränderungen haben. Und die motorische Kontrolle, ist ein Mechanismus im Gehirn, ein Ablauf von Muskelrekrutierung in der richtigen Reihenfolge und diese Reihenfolge ist verändert bei Frauen mit Inkontinenz und bei Personen mit Rückenschmerzen. 

 

Wir sind dann jetzt im Jahr 2006 und du bist mit Kaven in Kontakt getreten?

Da habe ich dann das gefunden, was ich so lange gesucht habe: eine Kooperation. Ich habe dann mit Kaven überlegt, in welche Richtung wir forschen können. Wir haben dann beispielsweise den deutschen Beckenboden Fragebogen ins Deutsche übersetzt und ihn verifiziert. Wir haben dann gemerkt, dass wir eine Nachkontrollmodul entwickeln müssen, um dann die Wirksamkeit der eigenen Physiotherapie überprüfen zu können. Den Fragebogen habe ich dann in meiner Praxis eingesetzt und die erste Studie, die mit Kaven stattgefunden hat, war an Patientin aus meiner Praxis. Eine Kollegin hat uns und meine Frauen dann nochmal nachkontrolliert und dann eine weitere Studie dazu gemacht. Nebenbei haben wir den ersten dfg-Antrag gestellt, weil wir mehr Studien machen wollten und vor allem mehr klinisch forschen wollten. 

 

Was ist ein dfg-Antrag?

Das ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft, weil wir geguckt haben, wo wir Gelder beantragen können, sodass wir in unserer Forschung unterstützt werden. Wir haben dann ca. 10 Monate einen Antrag gestellt, so nebenbei. Und haben ein Jahr gewartet. Schlussendlich wurde er abgelehnt, worauf ich nicht vorbereitet war. Ich war damals auch ziemlich am Ende, weil ich in den Jahren 2008/2009 so viel Hoffnung da reingelegt habe. Wir haben uns dann wieder aufgerappelt und das zweite Mal den Antrag gestellt, mit den Veränderungen wie die DFG uns das gesagt hat. Wir waren damit nicht ganz so zufrieden, wie wir das ändern sollten, haben es aber gemacht. Und es ist uns auch auf die Füße gefallen, weil wir wussten, dass wir mit den Änderungen auch unsere Klientel ändern. Aber das war statistisch gesehen so gewollt. Im Jahr 2010 haben wir dann auch die Zusage bekommen, also konnten wir starten. Am 01.01.2011 habe ich dann meine Einstellung bei der Charité als Physiotherapeutin unterschrieben. Von der DFG wäre es auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin bezahlt worden, aber man hat mich eben nur als Physio eingestellt. Da habe ich dann gehadert, ob ich diesen Schritt zurückgehe, weil ich da dann natürlich auch weniger verdient habe als vorher. Aber mir ging es um die Sache und somit habe ich dem zugestimmt. Ich bin auch froh, dass ich das gemacht habe. 

 

Wir haben dann zuerst eine Messvorrichtung entwickelt und mit der Medizintechnik zusammengearbeitet und erweiterte Urodynamik entwickelt, das heißt man kann gleichzeitig mehrere Messungen machen. Man kann Beckenboden und Bauchmuskeln mit EMG und die Bewegungen des Blasenhalses und die Bewegung gleichzeitig messen, daran haben wir lange gearbeitet. Dann haben wir Druckänderungen im Bauchraum und der Harnröhre und Blase gemessen und wir haben dann auch die Atemexkursion angeguckt, also einatmen und ausatmen. Und wir haben in der Studie dann insgesamt ca. 280 Frauen vorher, nachher, vor den OPs, vor der Physiotherapie gemessen. Der Fokus war immer Motorcontrol, also wie ist die Reihenfolge der Muskelabläufe. 

 

Wenn wir voranschreiten wollen in Deutschland mit evidenzbasierten Arbeiten und eine junge bis mittelalte Therapeutin, die nicht studiert hat, kann ich dann überhaupt Studien machen? Welche Voraussetzungen muss ich überhaupt mitbringen, um daran denken zu können, eine Studie zu machen?

Ich denke mal Nummer 1 ist der Biss. Weil man damit teilweise Berge versetzen können. Aber eine gute Betreuung ist natürlich auch wichtig. Aber letztendlich kann man nur wissenschaftliche Arbeiten, wenn man das gelernt habe. Ich sage immer das ist ein Handwerk, genau wie Marketing bspw. auch. Ein Marketing-Mitarbeiter kann heute Fernseher und morgen Kühlschränke vermarkten. So ist das mit Wissenschaftlern auch, sie beherrschen ihr Handwerk. Und man kann unterschiedliche Forschungen betreiben: literarische Forschung, Interviews mit Menschen. Aber für beides braucht man ein 

 

Handwerkskasten und ich weiß nicht, ob man sich das selber aneignen kann. Ich glaube man braucht die Vorlesungen und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Ich habe bspw. bei einem Schulkollegen, der Professor für Mathematik und Physik ist, Nachhilfe genommen, damit ich diese Statistik Vorlesungen verstehe und die Klausuren bestehe. Man muss einfach das Handwerk lernen. Was macht Wissenschaft. Man muss die wissenschaftliche Sprache können und Studienprotkolle erstellen. Dann braucht man eine Institution. Man braucht eine Universität oder ein Institut. Irgendwann braucht man Forschungsgelder und die bekommt man nicht als irgendwer, sondern als Universität oder Institution. Das ist einfach so. Dann braucht man gute Betreuer. Die Betreuer müssen Menschen sein, die sich in der Materie Forschung auskennen, aber auch Experten der Zeit für die jeweiligen Themen sein. 

 

Man muss wissen, was ist jetzt gerade Thema, woran forscht die Welt, woran sind die interessiert? 

 

Aber würdest du sagen, dass im Vergleich für solche Gesellschaften die Themen Beckenboden eher nicht so sexy sind? Oder wird auf den Gebieten wie bspw. orthopädische Forschungen und Forschungen zur Frauengesundheit ähnliche viel geforscht?

Es gibt Gesellschaften, wo es fast nur um Frauengesundheit geht, da ist es dann ein großes Thema. Da ist bspw. der Sport und die Rückkehr zum Sport noch nicht ganz so angekommen. Wenn man jetzt andere Sportforschungen anschaut, da ist das Themen Beckenboden dann nicht so sexy. Ich kenne auch bspw. eine Sportwissenschaftlerin, die sich für ihr Themengebiet Beckenboden rechtfertigen musste. 

 

Meinst du, das wäre anders, wenn noch mehr Männer betroffen wären?

Also ich muss sagen, dass allgemein Physiotherapeuten insbesondere Männer das Thema Beckenboden mehr akzeptieren, damit da ein größeres Gleichgewicht herrscht, dass eben nicht so auf die Beckenbodenthemen herabgeschaut wird. Ich glaube auch, dass sie mit ihrer teilweise arroganten Haltung auch viele Themen aus der Hand geben. Dass sich auch Leute, die nicht vom Fach sind, es aber einfach erlebt haben und sich selbst geholfen haben, damit anfangen anderen zu helfen. Und ich denke auch, dass die Physios damit auch viel aus der Hand geben, was sie nicht müssten. 

 

Warum fehlt da der Biss? Hast du da eine Hypothese?

Es gibt denke ich zwei Ideen. Die eine Idee ist, ich habe das auch von viele Ärzten so gehört, warum Physiotherapeuten in der Rückbildung in der Klinik nicht so gern mitmachen. Und wenn sie sagen, dass sie in der Gynäkologie gern mehr Hilfe von den Physiotherapeuten hätten, dann kommt da nicht so viel Interesse. Ich denke, dass wenn ich eine Abteilung mit  20 Physios haben, warum soll da ausgerechnet einer bei sein, der Lust hat auf Beckenboden? 

 

Die Physios lernen in der Schule ja auch teilweise noch nicht das neue, spannende, evidenzbasierende, warum soll da jemand Interesse entwickeln? Und ich denke das andere ist, dass viele denken, dass sich da nicht viel verändert hat. Aber das stimmt ja gar nicht. Wir haben beispielsweise in der manuellen Therapie nicht so viel Evidenz wie beim Beckenboden. 

 

Ich lese ja auch viele Abhandlungen und wir hatten schon immer sehr viele spannende Forscher in der Physiotherapie und da kommen ja auch immer neue Menschen dazu, die geniale Studien machen. Ich bin der Meinung, dass es langweilig ist, wenn es immer nur um Beckenbodenkräftigung geht und es immer nur um das Gleiche geht und am Ende kommt immer raus, dass nur die Funktion getestet wird, also der Druck, den man mit den Muskeln aufbringen kann. Damit wird dann gemessen, ob eine Therapie besser ist als die andere. Das ist doch langweilig, wenn immer nur gemessen wird, dass je dicker der Muskel desto besser die Therapie ist. Ich bin der Meinung, dass es so viel mehr tolle Sachen gibt, die man da machen und erforschen kann. 

 

Viel spannender ist doch, dass sich das Gehirn verändern kann, wenn man damit arbeitet und somit auch Themen wie Inkontinenz und Dranginkontinenz nachhaltig verbessert werden können. Diese Studie dazu ist bspw. 15 Jahre her und das hat niemand wieder aufgegriffen, nachgeprüft, weitergeforscht. Wir haben herausgefunden, dass durch Motorcontrol die Progression viel schneller voranschreiten kann, aber da hat sich seit 15 Jahren weiter nichts verändert und das finde ich eigentlich traurig, da es ja sehr vielversprechend klingt. 

 

Man überlegt wie kann man Physiotherapie und Beckenboden sexy gestalten, dass man die Frauen an der Stange hält, aber wie bekommt man es hin, dass die Frauen ihren eigenen Sport machen können, das ist doch die große Frage, an der aber nicht weiter geforscht wird. Und das geht auch noch weiter, weil wir da noch nicht viel wissen, aber das ist doch das spannende. 

 

War das die Studie, die nach dem 2. Versuch genehmigt wurde?

Ja, das war dann ein Teil. Die ganze Studie hieß Beckenbodenstrategien bei Frauen die kontinent, inkontinent und therapiert sind. Wir haben da ganz viele Publikationen draus gemacht. Wir haben z.B. traditionelle Beckenbodengymnastik untersucht, was da passiert, welche Übungen gut sind und welche eher nicht so gut sind. Wir haben Valsalva Training verglichen. Das Valsalva Manöver wird gemacht, um zu gucken, wie weit sinkt der Beckenboden ab. Valsalva ist ein Druckaufbau im Körper mit geschlossener Nase, da spannt man den Beckenboden an. Und wir haben das mit Pressen verglichen und beim Pressen möchte man eigentlich, dass der Beckenboden entspannt, weil man sonst keine Möglichkeit hat, ohne Probleme die Defäkation auszuführen. Und es wäre auch spannend, wie sich das dann bei einer Geburt verhält. Dass wenn eine Frau richtig pressen lernt, wie sich das dann verändern kann. Die Studie würde ich gern seit Jahren machen, aber habe da leider keine Kontakte zu Hebammen, die da mitmachen möchten. In allen internationalen Studien wird immer erst geprüft, ob der Beckenboden angespannt wird, in Deutschland eher weniger, weil man da nicht so häufig vaginal untersucht hat. Insgesamt ist die Zahl gestiegen, weil sich immer mehr Personen spezifizieren und mehrere Physiotherapeuten auch vaginal untersuchen. Denn wenn ich den Muskel nicht untersuche, kann ich ja auch nicht herausfinden, welche Dysfunktion vorliegt. 

 

Die Palpation ist ja leider immer noch eine Grauzone, dass man von den Verbänden nicht so richtig das Go hat. Oder bist du da auf einem neueren Stand? 

Da kann ich nur berichten, was sich Experten also Gynäkologen und Urologen wünschen, also Fachleute, sondern nicht normale niedergelassen Gynäkologen sondern mit Spezialisierung und die arbeiten wirklich gern und viel mit Physiotherapeuten zusammen. Und geben die Namen gern weiter, die gezielt untersuchen können, weil sie nur dann wissen, dass auch gezielt therapiert werden kann. 

 

Wir machen bei allen anderen Krankheitsbildern ja auch Muskelfunktionprüfungen. Ja genau. Es gibt zwar immer noch die Fragestellung, ob eine Physiotherapeutin das darf, aber wenn man sich das Regelwerk anschaut, dann steht da nirgends drin, dass sie das nicht darf. Dass man nicht in Körperöffnungen eindringen darf, steht da nirgends drin. Klar kann das sein, dass die eine Physiotherapeutin oder Gynäkologin nicht mag und da was gegen hat, aber da kann man sich auf die Fachleute berufen, die das unterstützen. 

 

Du gibst selbst Fortbildungen. Magst du etwas dazu erzählen? Ich gebe Fortbildungen seit 2008. Ich gebe Fortbildungen bei Studiengängen in Holland und in der Schweiz, vor Corona war ich ganz viel in Brasilien. Ich habe dort viele Forschungsprojekte unterstützt und die Ärzte und Therapeuten in diesen Projekten geschult, wie man per Ultraschall untersucht. Aber seit 2008 machen wir auch in Deutschland die Fortbildung: Blasenhals-effektive, integrative kontrollierte Beckenbodentherapie. Das ist die Behandlung, die in unseren Studien entstanden ist. Der Name kommt von den drei Anteilen, die in unserem Konzept vorkommen. In dem zweiteiligen Kurs lernt man gezielt zu untersuchen, eine gezielte Anamnese, man lernt die Kooperation zwischen den Muskeln, man lernt seine eigene palpatorische Fähigkeit mit Ultraschall zu unterstützen und wie man einen Befund nach den Leitlinien schreibt. Man lernt auch wissenschaftlich Studien zu lesen, um einen Argumentationshintergrund zu haben. Der zweite Teil ist dann der dynamische Ultraschall. Das dynamische haben wir mit reingebracht, damit wir alles auch bei Tätigkeiten (Husten, stehen, niesen) untersuchen können. Dass man sich eben das komplette System anguckt und selber auch in der Lage ist die Dysfunktion mit Ultraschall herauszufinden. 

 

Wir wollen da eine Funktionsdiagnostik machen mit dem Ultraschall. Und vor allem den Patientinnen auch eine visuelles Biofeedback zu geben. Damit wir auch gezielt am individuellen Befund und der Problematik arbeiten können. Und da sollte eine gute Kooperation zwischen Ärzten und Physio hinkriegen und ehrlich sagen, wo das Ende der eigenen Therapie ist. In einem guten Netzwerk kann man ja die Patientin zu einer guten Kollegin weiterleiten. Dann gibt es einen Folgekurs, in dem Physios dann auch Patientenfragen mitbringen. Manchmal bekommen wir da einen Kurs zusammen oder wir machen das direkt in einer Praxis und da mache ich dann Inhouse Schulungen bei den eigenen Behandlungen. Das Junginger-Baesler-Konzept ist darüber hinaus auch, dass ich mit internationalen Spezialistinnen auch noch Kurse und Lektoren mache. Da die Menschen, die es selber gemacht haben ihre Ergebnisse auch einfach viel besser erzählen können. Und das ist auch eine Form von Wertschätzung. Die Weiterbildungen findet man auf meiner Website: https://www.physiotherapie- junginger.de/ 

 

Wenn du dir was für die Zukunft wünschen könntest für das Thema Beckengesundheit, wie würde das aussehen?

Ich denke das mit der Vergütung ist ein wichtiger Punkt. Denn für die normale Krankengymnastik sollen sie eine ausreichende Behandlung bekommen – also eine Schulnote 4. Und wenn wir unsere Fortbildungen machen, dass ist unsere Behandlung nicht nur ausreichend, sondern mindestens gut. Und dafür finde ich dürfen die Menschen dann auch bezahlen. Da nutze ich gern das Bild: Ein Auto mit vier Reifen ist ausreichend. Wenn ich aber ein schönes, besseres Auto haben möchte, dann muss ich dafür auch mehr zahlen. Also Frau kann man sich also selber überlegen: Möchte ich zur Physio nebenan oder zur Spezialistin gehen. Ja, absolut. Ich denke nur, dass Menschen die im medizinischen Bereich nicht so gebildet sind, einfach nicht wissen, dass das Gesundheitssystem in unserem Land ausreichend ist. Und daher verstehen sie oft die Selbstzahlerleistungen nicht. Dass man eben nur die „Therapie von der Stange bekommt“ und wenn man eben mehr möchte auch mehr bezahlen muss. 

 

Vielen Dank Bärbel! 

 


Neugierig geworden?

Kommentar schreiben

Kommentare: 0