Es gibt viele Menschen, die nach einer Schwangerschaft schnell wieder mit dem Laufen oder anderen High-Impact Sportarten starten möchten. Gibt es da eine pauschale Antwort, ab wann man wieder starten darf?
Ich glaube alle wollen gerne ganz konkrete Angaben und daran wird auch viel geforscht, aber generell muss die individuelle Person mit den Risikofaktoren, dem Setting, dem mentalen Zustand betrachtet werden. Es gibt was die Zeit angeht eine konkrete Phase, in der man auf keinen Fall starten sollte, das sind 3-4 Monate nach Entbindung, da ist es ein No-Go sich High-Impact Belastungen auszusetzen und alles danach ist sehr individuell.
Woher kann ich nach den 3-4 Monaten wissen, ob ich so weit bin oder nicht?
Da gibt es zwei Dinge. Zum einen kann man durch eine vaginale Palpation den Beckenboden untersuchen und auf der anderen Seite stehen Bewegungstests, die man im Kursformat oder auch zuhause für sich durchführen kann.
Kannst du eine von diesen Übungen, die in diesen Bewegungstests gemacht wird, verraten?
Wichtig vorab zu sagen ist, dass alle diese Übungen ohne Symptome durchgeführt werden müssen und auch 48h nachher keine Symptome auftreten dürfen. Wir sprechen da über Symptome wie ein Druckgefühl, Inkontinenz, Schmerzen oder ein Fremdkörpergefühl. Einige Übungen wären zum Beispiel 30 Minuten beschwerdefreies Gehen, 10mal eine Einbeinkniebeuge oder auch 10mal auf einem Bein auf der Stelle auf und ab springen.
Wenn ich jetzt feststelle, dass ich das alles schaffe und mein Beckenboden Check-Up auch gut verläuft, darf ich dann direkt losrennen?
Nein, nicht sofort wieder die Ambitionen haben einen Halbmarathon zu laufen wie man es vielleicht vorher getan hat, sondern man baut das ganz systematisch aus. Das entspricht dann einem klassischen Intervalltraining. Die Empfehlungen sind so bei 20 Minuten Belastungsdauer insgesamt und die Be-und Entlastung sollte in einem Verhältnis von eins zu zwei stattfinden, d.h. man rennt eine Minute und geht 2 Minuten abwechselnd für 20 Minuten und danach muss man wieder schauen, ob Symptome auftreten. Und dann kann man die Belastung langsam steigern, die Empfehlungen liegen bei 10% Belastungssteigerung pro Woche bis man bei 20 Minuten Belastung ohne Pause angelangt ist und dann darf man die Belastungsdauer erhöhen.
Was ist, wenn ich feststelle, dass mein Beckenboden noch nicht so weit ist?
Dann muss man differenzieren, was für eine Schwäche der Beckenboden hat. Ist es eher die Ausdauerfähigkeit oder die Reflektorik. Die Reflektorik ist besonders beim Laufen wichtig, weil der Beckenboden automatisch entsprechend der Belastung an- und entspannen muss. Und dann arbeitet man ganz konkret an diesen Punkten.
Gibt es neben dem Beckenboden noch andere wichtige Faktoren, die ich außer berücksichtigen sollte, bevor ich wieder High-Impact Sport mache?
Ja, auf jeden Fall. Es fängt an bei den Gelenken, die sind aufgrund des veränderten Hormonhaushaltes nicht mehr so stabil wie vorher, die Körperhaltung und besonders die Bauchstabilität sind auch wichtig. Und wir schauen auch nach der Atmung, ob die in alle Richtung fließt.
Wenn ich jetzt festgestellt habe, dass mein Beckenboden in Ordnung ist, ich aber eine Blasensenkung habe, empfiehlst du dann präventiv das Laufen mit Pessaren zu starten?
Ja, ich würde mit Pessar starten, kommt aber auch immer auf die Untersuchung an. Wenn ich bei einer Frau einen Ultraschall gemacht habe und die Frau hat gehustet und ich sehe eine deutliche Verlagerung der Blase, dann würde ich schon sagen auf jeden Fall mit Pessar laufen. Man muss das dann einfach ein bisschen ausprobieren - wie fühlt sich das Laufen an. Es muss nicht das Ziel sein ohne Pessar zu laufen, es ist eher wie eine Knieschiene, die man unterstützend trägt.
Hast du noch etwas, worüber wir sprechen sollten?
Ja, tatsächlich! Ich glaube, man sollte auch immer auf die Motivation der Frauen schauen, die hinter dem Wunsch steckt schnellstmöglich wieder laufen zu gehen. Ich erlebe es oft, dass Frauen sagen, sie wollen abnehmen und schnell wieder aussehen wie vor der Entbindung.
Ich finde es generell im Sport wichtig, dass es nicht darum geht etwas zu verlieren, also Gewicht zu verlieren, sondern darum etwas zu gewinnen zum Beispiel Körperwahrnehmung, Kraft oder auch Freude an der Bewegung.
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