Hera kannst du einmal etwas zu den verschiedenen Geburtsphasen sagen?
Mit Geburt meint man nicht den Moment, indem das Baby schlüpft, sondern Geburt ist der
ganze Weg, der ganze Prozess. Meisten beginnt es mit Kontraktion oder einem Fruchtblasensprung. Gehen wir von einer regulären Geburt aus, diese beginnt meist mit Wehen, die viele Frauen mit Regelschmerzen vergleichen, dieses Ziehen wird mit der Zeit stärker und länger und auch der Abstand zwischen ihnen wird kürzer. Und in dieser Zeit öffnet sich der Muttermund, daher nennt man es auch Eröffnungsperiode oder
Eröffnungsphase. Dann gibt es bei vielen Frauen die Übergangsphase, ich nenne das die Ruhe vor dem Sturm. Ich nenne das auch gern mal Pubertät der Geburt, denn in dieser Phase haben einige Frauen einen Zustand der Verwirrung, das was vorher funktioniert hat, funktioniert nicht mehr. Es entsteht ein Durcheinander in mir als Frau. Die Frauen sind dann meist sehr motzig oder heulig und dann geht es in die Austreibungsphase, wo das Kind in den Geburtskanal und in die Welt hinausgeschoben wird. Häufig dauert dieser Prozess über Stunden, es gibt natürlich auch Sturzgeburten, aber das ist eher die Ausnahme. Und ich finde das auch ganz verständlich, dass es seine Zeit dauert, denn wir erleben – vor allem bei der ersten Geburt – so viele Herausforderungen, die der Körper und die Seele noch nie zuvor erlebt haben. Und je nach Typus geht jeder damit unterschiedlich um. Mittlerweile bin ich 35 Jahre in diesem Beruf und wenn mir zu Beginn jemand gesagt hätte, dass sich bei dem Thema noch so viel ändern wird, dann hätte ich das der Person nicht geglaubt. Wir sind doch Frauen und aus der Vagina kommt das Kind raus. Was soll sich da ändern? Aber es hat sich in der Medizin viel verändert und es hat sich auch viel in den Menschen und in dem Mindset verändert, in dem was für einen Menschen wichtig ist und wie er das Leben sieht.
Du hast von der Geburt auch als mystische Situation gesprochen, dass der Beruf auch viel mit Lebensweisheit zu tun hat. Lass uns doch direkt in die Energie der Geburt übergehen, magst du da einsteigen?
Ja, aber ich muss vorweg sagen, dass es einen großen Unterschied macht, wie und wo die Frau ihr Kind zur Welt bringen möchte und wie viele Menschen dabei sind und wie nahe diese Menschen der Frau stehen. Jedes Kind hat eine Geburt und auch wenn eine Frau vier Kinder bekommen hat, dann ist jede Geburt unterschiedlich. Aber ich versuche es dennoch etwas allgemeiner zu halten.
Die Eröffnungsphase steckt das Wort Eröffnen drin. Die Frau muss sich darauf einlassen sich öffnen zu lassen. Eine Frau kann das nicht selber entscheiden, sondern das sich öffnen lassen ist passiv und ein Akt der Hingabe. Die Hormone werden ausgeschüttet und rufen etwas in meinem Körper hervor und meine Aufgabe ist es, mich dem so wenig wie möglich entgegenzustellen, sondern dem Prozess hinzugeben. Und ich glaube deswegen fällt es vielen Frauen heute schwerer zu gebären, weil es auch häufig negativ konnotiert ist, weil es als besonders schwer, schmerzhaft und endlos dargestellt wird. Und das macht natürlich auch was mit dem Mindset, denn diese Angst beeinflusst die Geburt natürlich. Die Herausforderung sich hinzugeben, in einer Atmosphäre die mir fremd ist, ich bin aufgeregt, wer wird da sein, wer nimmt mich in Empfang, das kann ich mir alles meistens nicht aussuchen und da ist es ganz natürlich, dass sich Spannung aufbaut. Und diese Spannung ist in dem Sinne nicht förderlich, natürlich aber nicht förderlich. Wenn die Hebamme dann die richtigen Worte findet und vertrauen, dann fällt es der Frau wesentlich leichter sich fallen zu lassen und hinzugeben.
Hingabe ist etwas, was heute selten gefragt wird und wir somit auch ein Stück weit verlernt haben. Wir können so viel kontrollieren und bestimmen und deswegen ist meiner Meinung nach die Hingabe die größte Herausforderung. Sich nicht hingeben können heißt, dass ich in Widerstand gehe und kämpfe. Man kann sich auch nicht in Kopf setzen sich hinzugeben, das ist ein körperlicher Prozess, den man fühlen muss. Ich habe den Frauen häufig gesagt sie sollen sich vorstellen wie ein Stück Butter in der Sonne zu sein und es einfach zerfließen zu lassen.
Erster Punkt ist: Unser Nervensystem braucht Sicherheit, wie kann ich diese finden? Und zweiter Punkt ist, ich brauche Hingabe. Wie kann ich vertrauen fassen, sodass ich mich hingeben kann.
Ich muss sehr vielen Instanzen vertrauen, einmal in mich als Frau, dass ich das kann. Dann brauche ich Vertrauen in das Kind, denn das Kind ist der aktive Part in der Geburt. Es hilft schon vorher ein gewisses Vertrauen in mich zu haben, sich auch vorher schon mal mit dem Beckenboden zu beschäftigen.
Für mich gibt es kaum etwas spirituelleres, mystischeres, als wenn eine Frau ganz selbstbestimmt gebären darf und alles so tut, wie ihr Körper es ihr vorgibt. Und wenn eine Frau dann eine Phase des Blackouts hat, da greife ich dann ein und unterstütze sie.
Viele Frauen lesen auch vorher wahnsinnig viel, was auch schön ist, aber man kriegt das Kind nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Becken, also fange an dein Becken zu spüren. Mache Übungen, das Ganze ist eine Erfahrungssache. Es geht auch nicht darum, dass eine kurze Geburt eine gute und eine lange Geburt eine schlechte ist, es geht um den Weg der Geburt und es wäre so schön, wenn die Menschen, die beruflich damit zu tun haben, sie da abzuholen und die Frau zu begleiten. Denn es prägt auch das Kind, darf es in seiner Zeit kommen oder wird es mit Saugglocke beschleunigt?
Ich für mich kann sagen, dass ich in der Zeit der Hausgeburten mehr Vertrauen in die Natur gefasst habe und erst einschreite, wenn‘s wirklich nottut. Ich lasse die Frauen auch nicht pressen, wenn’s noch nicht an der Zeit ist.
Aktuell sind 98% Klinikgeburten, das ist vermutlich auch die Angst, die da mitspielt. Nach dem Motto, wenn was ist, dann bin ich direkt da. Kannst du deine Erfahrung aus 20 Jahren Hausgeburten teilen? Wie oft musstest du in die Klinik?
Ich bin häufiger als 10 Mal mit Frauen in die Klinik gefahren, aber selten, weil akut ein Notfall vorlag, sondern eher weil‘s nicht voran ging und die Frauen eine PDA wollten, sodass der Geburtsschmerz reduziert wird. Wirklich brenzlige Situation hatte ich vielleicht eine Hand voll.
Schulmediziner*innen schütteln manchmal den Kopf über die Hausgeburtshebammen. Aber da unterschätzen sie uns, denn wir würden den Job doch nicht machen, wenn wir uns nicht vollkommen kompetent dafürhalten würden.
Es gibt dann noch die Phase der Pubertät: von heulig bis kratzbürstig sein. Kannst du da noch mehr zu erzählen?
Die Übergangsphase finde ich auch sehr spannend, die hat auch nicht jede Frau. Bei einigen ist es ganz kurz, bei anderen bis zu einer halben Stunde. Das Kind ist jetzt kurz vor dem Schlüpfen und das, was von den Frauen nun gebraucht wird, verändert sich. Häufig ist es so, dass der Kopf dann auch noch ein Stück tiefer tritt, dass die Frau da auch merkt, da will was raus. Und hier ist es wichtig, die Frau zu begleiten und sie nicht unter Druck zu setzen. Und dann kommt das große Finale. Dann wird aus der Passivität eine Phase der Aktivität. Dann darf/soll/muss sie das Kind mit aktiv hinausbringen. In ihre Kraft und Dynamik gehen und das Kind herausschieben. Auch das braucht etwas Geduld und ist meist Zentimeterarbeit. Denn keine Vagina ist so weit, wie ein durchschnittlicher Kindskopf und auch dazu gehört dann das Zulassen der Dehnung. Es gibt auch Frauen, die nicht aktiv entbinden wollen, sondern wollen sich entbinden lassen. Auch das ist in Ordnung. Wichtig ist nur, dass die Frau eine Wahl hat.
All das lernt man auch in den Geburtsvorbereitungskursen, oder?
Naja, auch da gibt es natürlich Qualitätsunterschiede. Da macht es Sinn, sich einen Kopf zu machen, wo ich hin gehe, was möchte ich lernen und wie möchte ich das lernen. Für mich gehören auch immer eigene Erfahrungen dazu.
Magst du noch etwas zum Abschluss ergänzen?
Weniger lesen, mehr fühlen. Mehr den Mut haben in sich einzutauchen und dort die Erfahrung machen. Unser Körper hat die Kompetenz, nur unser Kopf quatsch gern mal dazwischen. Also mehr Vertrauen in den Körper, in das Sein, ins Kind. Es ist normal, ein Kind zu gebären. Es ist das Größte und gleichzeitig das Normalste, was eine Frau erleben kann.
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