Beckenboden To Go – Folge 29: Sexuelle Gesundheit

Katja, worauf genau hast du dich spezialisiert?

Ich habe mich spezialisiert auf sexuelle Gesundheit in der Ergotherapie, sowohl für die Klient*innen als auch Therapeut*innen. Ich unterrichte das Thema oder das Fach

sexuelle Gesundheit.

 

Warum ist es denn wichtig in der Ergotherapie über Sexualität zu sprechen?

Die Frage ist ja eher, warum es überhaupt wichtig ist, darüber zu sprechen. Zum einen ist es einfach ein Grundbedürfnis, wobei es ja so viel mehr als ein Grundbedürfnis ist, weil es so viele Themen im Leben berührt.  Wie identifiziere ich mich, 

wie lebe ich meine Lust aus,  welche Rolle will ich einnehmen? 

In welchem Kulturkreis werde ich groß  und welche Ansprüche gibt es allgemein in meinem Umfeld?  Und das berührt dann natürlich auch die Praxis. Denn Krankheitsbilder wie Borderline, Depressionen, Schlaganfälle etc. können die Sexualität erheblich beeinflussen. Muss es nicht, aber bei vielen ist das einfach der Fall. Und keiner spricht mit diesen Menschen darüber, meist ist es sogar so, dass das Thema gar nicht stattfindet. 

Und die Betroffenen haben einfach einen großen Leidensdruck und in der Regel wollen die einfach nur ein Gespräch haben. Im Endeffekt wollen sie nur einmal hören, dass es anderen auch so geht und man sich dafür an entsprechenden Stellen

wenden kann. Es geht ja auch nicht immer nur um das Thema Lust und sexuelle Empfindungen, sondern zum Teil natürlich auch die Fortpflanzung. Wie sieht meine Sexualität aus, wenn ich im Rollstuhl sitze, meine Hände zum Teil nicht fühlen kann

etc. Das beeinflusst einfach die Sexualität und sicherlich mag es Patienten geben, denen ist das in der Akutphase relativ egal, aber es gibt auch genug, die schon in dieser Phase sich fragen, wie die Sexualität in Zukunft aussehen mag.

 

Macht es Sinn, dass ich mich erstmal mit meiner eigenen Sexualität befasse, bevor ich mit anderen Menschen darüber spreche?

Definitiv ja. Ich denke, das eine geht nicht ohne das andere. Das kennen wir ja bereits aus anderen therapeutischen Bereichen. Ich brauche ein gewisses Maß an Erfahrung, um auch darüber sprechen zu können. Das habe ich dann auch im Zuge meiner Arbeit festgestellt, dass ich Bücher lesen und auch eine schlaue Arbeit darüber schreiben kann, aber sobald ich nicht darüber spreche, kann ich das auch nicht mit anderen. Und ich bin selber jetzt auch nicht super aufgeklärt aufgewachsen. Ich selber wollte einfach ins Sprechen kommen und habe auch festgestellt, dass es mir zu Beginn auch schwerfiel. Das darüber reden ist Grundvoraussetzung dafür auch mit anderen ins Gespräch gehen zu können.

 

Wenn du in diesen Workshops bist, bringst du dann den Therapeut*innen das Sprechen bei? Und wie, wann und bei wem spreche ich das denn am Besten an?

Wichtig ist erstmal, dass es überhaupt angesprochen wird. Es ist schwer das zu pauschalisieren, weil das bei Sexualität finde ich immer sehr individuell ist. Ich finde auch nicht jeder muss das tiefgehend ansprechen können, mir ist nur wichtig, dass

wenn es ein Thema ist, dass man dann damit umgehen und ggfs. entsprechen weiterverweisen kann. Grundsätzlich gibt es natürlich verschiedene Zeitpunkte bei denen man das ansprechen kann. Meiner Meinung nach macht es total Sinn das am

Anfang bereits anzusprechen. Ich persönlich mache das gern auch beim ersten Gespräch, wobei ich das auch immer individuell und aus meiner Erfahrung heraus beurteile. Ich gebe auch gern die Informationen mit nach Hause, damit sie sich dort in Ruhe mit dem Thema auseinandersetzen können. Die Erkenntnisse aus den Fragebögen müssen dann natürlich in der Therapie auch nicht besprochen werden, wenn es dem Patient/der Patientin unangenehm ist.

 

Die Menschen die bei dir schon einen Workshop mitgemacht haben, bekommst du da Rückmeldungen, wie die das so integriert kriegen?

Ja, ich hatte jetzt am Wochenende erst einen Workshop. Das war total schön, weil es eine sehr heterogene Gruppe war, weil nicht nur Leute da waren, die sich für das Thema interessieren, sondern auch welche, die nur die Punkte für die Fortbildung

brauchen. Und da war ein Feedback einer Teilnehmerin, die meinte, ihre Grundmotivation war das „günstige Punktesammeln“ und sie hatte das Thema überhaupt nicht auf dem Schirm und es hat bei ihr so oft Klick gemacht. Und das ist einfach ein wirklich schönes Feedback. Aber ganz klar ins Sprechen kommen, zu wissen wie man darüber spricht und auch die Angst darüber zu sprechen ist ein Baustein meiner Workshops.

 

Aber was ist, wenn ich das Thema anspreche und frage, ob es Herausforderungen gibt und die Person will dann auch wirklich mit mir darüber reden und nicht nur einen Flyer haben.

Dann spricht man im Optimalfall mit den Menschen darüber. Zahlen, Daten und Fakten helfen immer. Genauso wie zu hören, dass es anderen ebenfalls so geht. Auch zu einem Umdenken zu animieren. Was gehört zur Sexualität. Vielleicht habe

ich keine Lust mehr auf die bloße Penetration und probiert einfach neue Dinge aus. Und sich einfach mal von dem Bild zu lösen, was andere von einem erwarten ist sehr hilfreich. Wenn ich als Therapeutin merke, dass irgendwo meine Grenzen erreicht sind, dann muss ich das auch entsprechend kommunizieren und kann dann auch gut weiterdelegieren. Dafür muss ich aber natürlich auch wissen, was es überhaupt an Angeboten in meiner Umgebung gibt.

 

Gibt es irgendein Handwerkzeug, was in der Ergotherapie für die Sexualberatung mitgegeben werden kann?

Wie weit man als Therapeut geht oder nicht, entscheidet im Endeffekt ja jede*r Therapeut*in selbst. Auch eine Hilfsmittelberatung kann ich oder auch andere Therapeut*innen machen. Das sind alles Dinge, die man tun kann, um die Leute nicht alleine zu lassen. Oft sind es ja auch wir Therapeut*innen, die am meisten Zeit mit den Patient*innen verbringen. Häufig geht das ja alles immer schnell, schnell, schnell und in der Ergotherapie hat man da dann doch etwas mehr Zeit. Und Sexualität ist ja auch einfach Lebensenergie.

 

Wenn ich jetzt lernen möchte, darüber zu sprechen. Wie gehe ich dann am besten vor?

Als erstes würde ich natürlich vorschlagen zu mir in Workshop zu kommen. Aber was mir persönlich am besten geholfen hat, ist es sich immer erstmal selber damit zu beschäftigen. Ich selber habe beispielsweise ganz viele Podcasts gehört, um zu

schauen, wie andere darüber sprechen und wie fühle ich mich dabei. Wie will ich darüber sprechen? Eher medizinisch oder eher vulgär? Es ist natürlich auch immer abhängig davon, wer eigentlich vor einem sitzt. Ich denke nicht, dass jemand sich gut

über Sexualität sprechen kann, wenn er nicht selber auch schon einiges ausprobiert und ausgesprochen hat.

 

Es gibt ja Fälle, wo es wirklich eine Erkrankung gibt, die die Sexualität beeinflusst. Kann ich dann zur Ergotherapie?

Ja, kann man, aber eigentlich dürfte ich die Menschen dann nicht therapieren. Und wenn man ohne Diagnose kommt, dann ist es im Endeffekt die Sexualberatung. Und das ist ja leider etwas, was unser Gesundheitssystem als Luxus behandelt, sprich die

Kosten muss man dann auch selber tragen.

 

Wenn ich also anfangen möchte mich mit Sexualität zu beschäftigen gibt es also deine Workshops aber auch viele Möglichkeiten von Büchern, Podcast etc. Es ist letztendlich individuell, über welches Medium du gern deine Informationen beziehst.

 

Wo finde ich dich?

Zu Hause bin ich in Berlin aber online unter coitoergosum.de erreichbar. Meine Workshops mache ich sowohl vor Ort als auch online.

 

Möchtest du den Menschen noch etwas mitgeben?

Ja. Seid milde mit euch. Man hat ja immer den Anspruch, dass das dann auch gleich klappen muss. Finde ich persönlich gar nicht. Man darf sich da auch seine Erfahrungsräume erstmal öffnen und seine eigene Art und Weise zu finden Dinge

anzusprechen. Und ich finde es ist auch okay, wenn man dann entscheidet, dass man genau das eben nicht möchte. Aber ich finde man hat die Verantwortung, dass wenn man schon um das Thema weiß, sich wenigstens vor Augen zu führen, wo

man die Leute hinschicken kann, damit es eben nicht hinten runterfällt. Man muss sich dem nicht selber annehmen, aber man muss den Menschen sagen, wo sie hin können.


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