Beckenboden To Go – Folge 24 Sexualität in der Beckenbodentherapie

Ana, du bist Physiotherapeutin. Wie kam es dazu, dass du dich dann noch zur Sexualpädagogin weitergebildet hast?

Zur Beckenbodenphysiotherapie kam ich eher zufällig, bei vielen ist es ja die Geburt eigener Kinder, aber bei mir kam tatsächlich der Impuls von außen. Als ich begonnen habe mehr im Beckenbodenbereich zu arbeiten, fing es auch an, dass der Raum immer intimer wurde und mir Frauen da auch Fragen zu Sexualität gestellt haben.  Nach und nach kam da dann das Bedürfnis nach wissenschaftlich fundiertem Wissen. 

 

Würdest du denn sagen, dass wenn ich ein Thema rund um mein Becken habe, dann ist es sehr sehr häufig, dass auch ein Thema in der Sexualität besteht?

Ja, das ist sehr häufig der Fall. Es bringen nicht alle Patient*innen dieses Thema mit ein. Oft ist es so, dass wenn man beispielsweise eine Organsenkung oder Dranginkontinenz hat, dann fühlen sich die Frauen nicht mehr so wohl und können sich dem Sex nicht mehr hingeben. Oder weil es eine andere Erkrankung gibt. Es sind einfach Bereiche, die sehr eng verknüpft sind, weil das Becken lokal, wo es ist, einfach zur Sexualität dazugehört.

 

Die Menschen, die zu dir kommen, bringen dann Themen mit, zum Beispiel Inkontinenz, das heißt es kann sein, dass ich beim Geschlechtsverkehr beispielsweise auch uriniere oder Urin verliere, oder dass ich Schmerzen habe beim Sex.

Weswegen kommen die Menschen noch so zu dir?

Was ich gerade konkret meinte, ist, dass die Menschen zur Beckenbodentherapie kommen und dann im Verlauf der Anamnese Sexualität zum Thema wird und wir da den weiteren Raum eröffnen.  “Ich möchte gar nicht mehr so gern, weil ich Angst habe, dass.. etc.” Das ist die eine Seite, quasi aus der Beckenbodentherapie dann die Sexualität eröffnen und die Themen mit denen sie zur Sexual- oder Paarberatung kommen – das geht ja oft ineinander über – das sind dann häufig auch Themen wie Unlust, Ungleichgewicht, eine Person hat mehr Lust als die andere Person. Aber auch Themen innerhalb der Beziehung, er ist fremdgegangen, sie ist fremdgegangen, wie kann es weitergehen… es wirkt sich auf unsere Sexualität aus.  Es können aber auch nur beziehungs relevante Themen sein und dann kommt es meist später auf die Sexualität zu sprechen.

 

Achso, also bietest du auch Paartherapie bzw. Sexualtherapie für Paare an?

Ja, ich biete sowohl Einzel- als auch Paartherapie an. Sie können auch beide als Paar direkt damit kommen, oder aber manchmal entwickelt es sich auch in einer Einzelberatung so, dass es an einen Punkt kommt, wo man sagt, dass es definitiv sinnvoll wäre, den/die Partner*in dazuzuholen, um da gemeinsam darüber sprechen zu können und neue Lösungen zu finden.

 

Bei der Physiotherapie für Becken/Beckenboden ist es ja so, dass wenn ich eine Kassenzulassung habe, dann können die Patient*innen mit Verordnung kommen, aber wie ist das denn bei der Sexualtherapie?

Das muss man da ganz klar abgrenzen, wenn ich während der Beckenbodentherapie Fragen dazu beantworte, dann zählt das natürlich zur Beckenbodentherapie, aber wenn jemand rein nur zur Beratung kommt, dann ist das eine Selbstzahlerleistung. Das kann nicht von den Kassen übernommen werden, auch nicht von den privaten, was ich sehr schade finde.

 

Der Vorteil ist dann ja wahrscheinlich, beim Rezept habe ich meine 10 bis 20 Minuten habe, aber bei der Selbstzahlerleistung kannst du dann ja mehr Zeit anbieten. Wie lange dauert eine Sitzung bei dir?

Bei den privaten Beratungen ist es so, dass wir 60 oder teilweise auch 90 Minuten Zeit haben. Und individuell können auch Termine abgesprochen werden, die 2-3 Stunden dauern. 

 

Und nehmen wir jetzt einmal an ich komme alleine zu dir für eine Stunde, was kann ich mir dann vorstellen, was erwartet mich dann?

Also zum einen haben wir einen sehr gemütlichen, kleinen Gesprächsraum. Wo ich ein Sofa und drei verschiedene Sessel habe, so dass jeder auch gucken kann, wo er sich wohl fühlt. Und dann geht es los mit einer Einstiegsfrage beispielsweise was ist dir wichtig, was ich von dir weiß für das heutige Gespräch, was möchtest du mir mitteilen. Und da sieht man dann ja meist auch schon, was der Person wichtig ist. Und dann nähern wir uns eben auch dem, was man erreichen möchte. Geht es da mehr um Aufklärungsarbeit, weil da leider immer noch wahnsinnig viele Mythen in

den Köpfen der Menschen sind, so dass da häufig völlig falsche Erwartungen entstehen und also ob es jetzt erstmal darum geht die Fakten des menschlichen Körpers zu klären.  Das kann ein Bereich sein oder der andere Bereich kann auch wirkliche Wissensvermittlung sein, also Anatomie, dass man erklärt, auf die und die Art und Weise kann mehr Lust entstehen zum Beispiel. Wenn sich dann herauskristallisiert, dass auch körperliche Übungen wichtig werden, dann gehen wir in den Bewegungsraum und machen beispielsweise Übungen, die das Becken mal ganz bewusst bewegen, aber auch da sind wir jederzeit angezogen.  Und ich frage auch immer, ob ich den Menschen berühren darf, um zum Beispiel am Becken zu zeigen, wo man bewusst spüren soll. Und dann sprechen wir darüber, was soll probiert werden, was soll vielleicht als Hausaufgabe gemacht werden und wann sieht man sich wieder, da gibt es auch keine klare Linie, das ist immer individuell.

 

Hast du zwei, drei Ideen, Übungen oder Möglichkeiten, wie man nach einem stressigen Tag sein Gedankenkarussell stoppen und in seinen Körper kommen kann?

Zum einen ist ein wunderbares Hilfsmittel immer der Atem, der holt uns immer in den Körper zurück, wenn wir mal bewusst spüren, wo genau der hingeht. Uns einfach mal erlauben einen tiefen Atemzug zu nehmen und diesen bis tief in den Bauch bzw. auch ins Becken zu spüren und auch zu spüren, wie dieser den Körper verlässt.  Und dann eben den Weg zurück von Zimmer A nach B schon mal schauen, wie gehe ich denn eigentlich? Schlurfe ich, trampel ich? Wie gehe ich, wenn ich eigentlich bewusst sinnlich gehe? Wie ist es, wenn ich meinen Fuß bewusst abrolle und mein Becken dabei hin und her bewege. Manchmal hilft hier auch ein bisschen fake it till you make it, also so ein bisschen übertrieben – auch wenn‘s sich noch nicht ganz natürlich anfühlt – zu spüren, was macht das mit mir. Ansonsten eignen sich sämtliche Beckenbewegungen, auch im Büro. Das tut immer dem Rücken und auch immer dem Beckenboden gut. Also auch einfach mal zu sagen ich rolle jetzt bewusst über meine Sitzbeinhöcker. Wenn man hier eine ganz kleine Schaukelbewegung des Beckenbodens macht, dann wird dieser schon mal durchblutet und die Position verändert sich und dann kann man auch mal die Kontaktfläche spüren.  Wie fühlt sich die Bewegung auf dem Stuhl eigentlich an? Und

viele berichten auch, dass es dann ein bisschen kribbelt und sich das eigentlich auch schön anfühlt. Man ist also nicht nur die Maschine, die ihr soll erfüllt, sondern auch ein sinnlicher Körper.

 

Was sonst noch hilft ist Schüttelmeditation oder ein für mich sinnliches Lied und einfach 3-4 Minuten zu tanzen. Das ist immer der Hammer, sobald der Rhythmus da ist sich einfach treiben lassen und aus sich herauskommen, den Kopf ausschalten. Häufig ist es ja auch einfach ein erinnern, es ist alles bereits da, aber wir müssen die Menschen manchmal wieder daran erinnern, was da ist. Und manchmal muss es auch etwas wachgerüttelt werden und da hilft es auch einfach sich zurückzuerinnern, wie es mal war. 

 

Wie ist es mit der Scham, wenn ich einen Termin zur Sexualberatung mache und wie ist es, wenn ich dann während des Termins, wo wir komplett angezogen sind, dieses kribbeln dann spüre?

Das ist sehr schön, dass du das ansprichst, weil das ist ja genau das was in den meisten Köpfen früher oder später auch auftaucht, wenn man mit dem Gedanken spielt so eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Ich kann nur jeden dazu ermutigen, dass zu tun. Denn ich bin der Meinung, dass jede*r, der/die in diesem Bereich arbeitet,  super unaufgeregt mit dem Thema umgeht.  Das ist unser täglich Brot, für uns ist das vollkommen normal, so normal wie es für andere ist über Zahlen der Buchhaltung zu sprechen. Und alles, was wir weitergeben, haben wir ja auch selber schon gespürt. Dafür ist ja aber auch immer das Anamnese-Gespräch da, dass man sich kennenlernt und auch merkt, was für ein Mensch sitzt mir da gegenüber und welche Atmosphäre herrscht dort. Und ich durfte bislang immer die wunderschöne

Erfahrung machen, dass sich Menschen dann auch wirklich schnell entspannen können. Wenn’s dann gerade um die Körperbewegungen geht, dann sollen ja später auch eigentlich genau diese Gefühle hervorgerufen werden. Aber auch da öffne ich wieder den Raum und sage das ganz Explizit, dass es sein kann, dass dort ein Kribbeln oder eine leichte Erregung stattfindet. Und auch bei den Männern, wenn da eine Erektion stattfindet, dann nehme ich das nicht persönlich, sondern denke einfach wunderbar, dass hier die Durchblutung funktioniert.  Das ist überhaupt nichts schlimmes, sondern physiologische Ausdrücke dessen, was im Körper gerade vorgeht. Also wir wissen dann eigentlich nur, dass die Übung angeschlagen hat. Der Erstkontakt kann aufgrund möglicher Scham auch erstmal online stattfinden,

sodass man sich zumindest vorerst nicht aus seinem geschützten Raum begeben muss und nicht das Gefühl aufkommt „ich muss da jetzt wohin“. Bei uns ist es auch bewusst so, dass wir einen Empfang haben, so dass die Menschen, die zu uns kommen genauso normal Termine für die Sexualberatung machen, wie eben für die Physiotherapie.  Da geht niemand durch die Tür, wo da dann drauf steht „Sexualberatung“.


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