Heute begrüßt das Bewegungszentrum Norderstedt im Podcast „Beckenboden to go“ Gloria Bonauer. Gloria ist Physiotherapeutin und hat sich auf das Thema Frauengesundheit, Beckenboden und Beckenbodengesundheit spezialisiert und hat ihre eigene Praxis in Burghausen in Oberbayern.
Die erste Folge mit Gloria kannst du hier nachhören.
In der heutigen Folge geht es um Stuhlinkontinenz.
Was genau ist Stuhlinkontinenz bzw. wie funktioniert die Verdauung?
Stuhlinkontinenz entsteht am Ende der Verdauung. Ganz grob isst du etwas, das geht durch deinen Magendarmtrakt, im Dünndarm wird entschieden, was gebraucht wird und was nicht. Du bekommst Vitamine, Kohlehydrate, Proteine und es wird bereits ein bisschen Wasser entzogen und alles, was der Dünndarm nicht weiterverwendet bzw. vom Körper nicht gebraucht wird, wandert dann in den Dickdarm. Und im Dickdarm wird das Ganze dann eingedickt und dann landet der Stuhl idealerweise im Rektum. Denn wir gehen ja nicht dauerhaft auf Toilette. Im Rektum haben wir genau wie in der Blase Dehnungsrezeptoren. Das heißt es sammelt sich der Stuhl kurz vor dem After.
Was ist denn dafür zuständig, dass der Stuhl sich überhaupt sammeln kann und nicht sofort raus möchte?
Wir brauchen erstmal natürlich ein gewisses Fassungsvermögen. Hier kann schon das erste Problem entstehen, wenn nicht genügen Fassungsvermögen da ist. Und das ist mitunter ein großes Fassungsvermögen, ich habe mal von bis zu 2 Litern gelesen. Und das muss man natürlich auch spüren, dass sich dort etwas füllt, damit wir das auch steuern können. Im Normalfall haben wir ein Verschlusssystem, das gut funktioniert und uns hilft. Wir haben den Schließmuskel und auch das Hämmorhoidalgeflecht, damit der Stuhl eben nicht direkt in der Toilette bzw. Hose landet, damit wir das erstmal wahrnehmen können.
Wenn wir jetzt über Stuhlinkontinenz sprechen, bedeutet das, dass der Stuhl an einer Stelle nicht mehr gehalten werden kann. Da gibt es unterschiedliche Stufen. Ich glaube drei oder?
Ja, da gibt es unterschiedliche Stufen und unterschiedliche Modelle. Ich selber teile gern in vier Stufen ein. Grad 1 ist tatsächlich schon der Fall, wenn ich die Luft nicht mehr halten kann, wenn also auch Pupse unkontrolliert abgehen. Auch hier hat man schon eine leichte Stufe der Stuhlinkontinenz, auch wenn man da vielleicht noch nicht dran denkt. Grad 2 ist wenn Schleim abgeht. Grad 3 wenn dünnflüssiger Stuhl abgeht und bei Grad 4 ist es dann der geformte Stuhl, der tatsächlich nicht mehr gehalten werden kann.
Wie sollte denn mein Stuhl eigentlich – wenn‘s ideal läuft – aussehen?
Da gibt es eine Tabelle, die Bristol stool scale (https://de.wikipedia.org/wiki/Bristol-Stuhlformen-Skala), auf der man sehen kann, welche Konsistenzen es gibt. Dort gibt es Typ 1 bis 7. Typ 1 erinnert an den Kot des Hasens, also klein und kugelig und Typ 7 ist der Durchfall. Was wir wollen ist etwas in der Mitte, also Stufe 3 bis 4, also eine gut geformte Wurst. Alles, was mehr oder weniger ist, ist nicht im Normalbereich. Denn auch zu harter Stuhl ist nicht gut für unsere empfindlichen Schleimhäute.
Du hast gesagt, dass es vier Stufen der Stuhlinkontinenz gibt. Das es bereits anfängt, wenn Pupse abgehen. Jetzt werden sicherlich viele hellhörig, die zum Beispiel sagen, wenn ich Yoga mache, dann gibt’s da verschiedene Stellungen, bei denen ich pupsen muss. Muss ich da direkt Angst bekommen oder sollte ich das weiter beobachten, in welchen Situationen das passiert?
Also Angst muss man auf gar keinen Fall haben. Unsere Intention ist es ja nicht Angst zu machen, sondern aufzuklären. Man sollte gegenfalls auch mal schauen, was man gegessen hat. Wenn man zum Beispiel Chili con carne gegessen hat, dann fällt das ganze natürlich etwas schwerer. Und auch einige Positionen sind dafür prädestinierter als andere. Da kann man höchstens mal überlegen, ob vielleicht ein paar zusätzliche Beckenbodenübungen Sinn machen würde. Vielleicht kann der äußere Schließmuskel, der ist ja trainierbar, noch etwas Unterstützung gebrauchen. Aber auf keinen Fall Panik bekommen, sondern dem Körper einfach ein bisschen Aufmerksamkeit schenken und gucken, was könnten da jetzt Gründe sein.
Man muss auch unterscheiden, dass es auch vorrübergehende Stuhlinkontinenzen geht. Wenn man zum Beispiel ganz krank ist und Durchfall hat, dann macht es ja mit unter auch Sinn, dass der Körper das nicht halten kann oder will, weil er es ganz schnell loswerden möchte. Auch hier muss man schauen, was der Grund ist. Ist es etwas, das wieder vorbeigeht oder enstehen da vielleicht ernsthafte Probleme?
Stuhlinkontinenz kann sich also auch schon durch den Abgang von ungewollten Winden bemerkbar machen.
Du hast gerade von funktioneller Stuhlinkontinenz gesprochen, was gibt es denn da noch?
Genau, die funktionelle Inkontinenz ist das, was wir eben angesprochen haben, also wenn etwas im Magendarmtrakt einfach nicht funktioniert. Es gibt aber auch eine Obstipationsinkontinenz, also wenn man eigentlich Verstopfungen hat, dass sich da doch etwas seinen Weg drumherum sucht. Oder auch entzündliche Formen, bei entzündlichen Darmerkrankungen. Es gibt auch eine traumatisch bedingte Stuhlinkontinenz, beispielsweise nach der Geburt, wenn es dort Verletzungen gab oder aber auch durch eine Operation, wenn ein Tumor entfernt werden muss. Es gibt eine Ischämische Stuhlinkontinenz, wenn es Durchblutungsstörungen gibt. Es kann hormonell bedingt sein oder auch von Medikamenten abhängen, die eine abführende Wirkung haben. Dann gibt es noch neurogenbedingte Stuhlinkontinenz, also wenn ich eine neurologische Erkrankung habe wie MS oder Querschnittsgelähmt bin. Und es gibt auch angeborene Störungen, die dann eine Stuhlinkontinenz mit sich bringen können. Also leider eine ziemlich große Auswahl.
Festgestellt wird das durch Ärzte. Aber wann gehe ich denn dann zur Physiotherapie?
Im besten Fall geht man natürlich immer erstmal zum Arzt. Natürlich ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner, aber traut euch auch zum Proktologen. Wenn dann im besten Fall der Arzt gesagt hat, dass ich zur Physiotherapie gehen sollt, spätestens dann ist der Punkt gekommen, wo ihr dort hingehen solltet. Denn auch in der Physiotherapie gibt es viel, was man hier unterstützend machen kann. Zum Beispiel mit Beckenbodentraining.
Los geht es natürlich immer mit einer ausführlichen Anamnese. Dafür gibt es auch Fragebögen, die man in Ruhe zu Hause bearbeiten kann, weil es dort auch oft Fragen gibt, die einem etwas ungewöhnlich erscheinen und da spricht man dann meist auch nicht so unbefangen drüber, zumindest am Anfang.
Bei der Untersuchung gehört dann auch immer eine rektale Untersuchung dazu, weil wir natürlich auch wissen wollen, was der Schließmuskel kraftmäßig leisten kann. Und abhängig von der Diagnose gibt es ganz viel, was wir machen können. Nicht nur das klassische Beckenbodentraining. Viel geht es auch immer um Aufklärung und Information. Es geht häufig auch um die Ernährung, das Alltagsverhalten und Wahrnehmungsverbesserungen.
Die Ernährung spielt eine große Rolle, viel größer als man manchmal denkt. Denn es kann auch sein, dass die Inkontinenz an einer Unverträglichkeit liegt. Wenn wir nochmal zurück zu unserer Skala kommen, dann wollen wir eine gute Konsistenz des Stuhls und das kann man auch über die Ernährung steuern. Das ist natürlich auch immer individuell, da ist jeder Körper unterschiedlich und da muss man einfach gucken, was funktioniert und mit Geduld ausprobieren. Man darf nicht zu schnell aufgeben aber auch nicht zu viel auf einmal ausprobieren. Das braucht einfach Zeit.
Du hast vorhin gesagt, dass einmal die Muskulatur dafür sorgt, dass der Stuhl gehalten wird aber auch das Hämorrhoidalgeflecht. Ich dachte Hämorrhoiden sind schlecht?
Nein. Also im allgemeinen Sprachgebrauch ist es so, aber wir haben ja alle welche. Das Geflecht ist ein zusätzliches Polster und das füllt sich, sobald sich der Stuhl füllt und dann verdichten sie zusätzlich. Zum Problem wird es erst dann, wenn sie vergrößert sind, aus dem After rauskommen oder Schmerzen verursachen. Aber grundsätzlich haben wir alle welche.
Wenn man zu viele Hämorrhoiden fehlen, kann es auch dazu kommen, dass die Inkontinenz gefördert wird. Die Hämorrhoiden außerhalb des Körpers helfen allerdings nicht dabei, die Kontinenz zu wahren, sondern bewirken leider manchmal das Gegenteil.
Was kann ich denn noch an Hilfsmitteln verwenden?
Zur Ernährung kann man sich zur Unterstützung auch die Flohsamenschalen holen. Da muss man aber schauen, welche Menge passend ist, denn wir wollen ja auch keinen zu festen Stuhl.
Ein weiteres Hilfsmittel wären die Analtampons. Da gibt es auch verschiedene Typen, die erst innen wie ein Schirmchen aufgehen oder aber welche, die an die „normalen“ Tampons der Periode erinnern. Das ist im Übrigen ein Hilfsmittel, welches man sich vom Arzt verschreiben lassen kann. Das ist auch ein Grund, den Arzt mit hinzuzuholen. Ein Vorteil davon ist eben auch, dass der Stuhl erstmal im Körper bleibt und man somit eventuelle Probleme mit dem Geruch oder auch mit der Haut vermindert.
Was man auch nutzen kann wäre ein regelmäßiger Einlauf. Das braucht allerdings immer ein bisschen Übung. Aber wenn nichts im Rektum drin ist, dann kann da natürlich auch nichts raus. Wenn der Enddarm gut entleert ist, dann bin ich ja aufgrund dessen schon Kontinent. Da gibt es auch viele Fachpersonen, die dabei Unterstützung geben können.
Was hältst du davon gut auf den Darm zu achten? Und was hältst du von dem „Kack-Hocker“?
Den finde ich super! Den empfehle ich im Prinzip all meinen Beckenbodenpatienten, auch präventiv. Denn wie ich auf Toilette gehe ist ein großer Aspekt sowohl in der Behandlung als auch in der Prävention.
Für alle, die diesen Hocker nicht kennen. Das ist einfach ein Hocker oder Schemel, auf dem ich meine Füße beim Stuhlgang höherstellen kann, damit ich in eine gehockte Haltung komme und somit damit den Enddarm in eine bessere Position bringen kann. Zusätzlich zum Hocker ist auch eine gemütliche Toilette nützlich. Es muss warm sein, man soll sich wohlfühlen und man sollte sich auch etwas Zeit nehmen. Nicht zu viel, nach 3 Minuten sollte man um und bei fertig sein.
Ich glaube dieses länger auf Toilette sein passiert manchmal auch, weil das so die einzige Zeit für sich ist. Gerade als Mama kennst du das ja sicher auch. Aber da gebe ich den Tipp, beendet erst den Stuhlgang und setzt euch sonst danach nochmal ein paar Minuten auf den geschlossenen Klodeckel.
Man sollte beim Stuhlgang auf gar keinen Fall pressen, denn dieses permanente Pressen kann letztendlich zu einer Stuhlinkontinenz führen, weil durch das Pressen die Nerven geschädigt werden.
Wie oft ist es normal auf Toilette zu gehen?
Das variiert zwischen bis zu 3x am Tag (Maximum) und bis zu 3x die Woche (Minimum). Das ist eine sehr große Range, aber 3x am Tag ist genau so normal wie 3x die Woche. Alles darunter oder darüber solle abgeklärt werden.
Ich würde gern noch einmal über die psychosomatische Komponente sprechen, also der Darm als Stressindikator.
Was die psychosomatische Komponente angeht, da kann es durchaus in beide Richtungen gehen also Verstopfung oder Durchfall. Auch bei Depressionen kann es beispielsweise oft zu Verstopfungen kommen.
Auch auf Reisen kann es psychosomatisch anders sein, dass man woanders nicht gut auf Toilette kann oder auch wenn man aufgregt ist, kann das die Darmfunktion anregen. Es muss also nicht immer eine Erkrankung sein, es können auch vorrübergehende Dinge sein, die das beeinflussen.
Bei stressbedingten Sachen helfen auch immer Entspannung und Atemtechniken zur Beruhigung.
Wenn jetzt alles nicht hilft, was gibt es da als letzte Möglichkeit?
Also es gibt noch zwei Stufen würde ich sagen. Man kann noch medikamentös einiges machen, da gibt es zum Beispiel welche, die den Stuhl noch weiter eindicken. Wenn das alles nicht hilft, dann gibt es auch noch Operationen, die in Betracht gezogen werden können. Da kommt es dann natürlich auch immer auf die Ursache an. Deshalb auch hier wieder vorher die Abklärung.
Es gibt einmal die Möglichkeit sich einen kleinen Schrittmacher einsetzen zu lassen oder mit einem Stoma zu arbeiten. Und man kann sich, wenn der Schließmuskel defekt ist, diesen reparieren oder sich einen künstlichen einsetzen lassen. Da gibt es auch viele Spezialisten, also holt euch hier definitiv die entsprechende Hilfe.
Und man kann auch im Enddarm etwas Füllmaterial unterspritzen, um die Kontinenz zu wahren.
Wie ist das, wenn ich immer wieder, zum Beispiel auch bei Analsex, das Rektum immer wieder dehne, kann sich das dann wieder zusammenziehen?
Also da gibt es tatsächlich unterschiedliche Meinung. Da gibt es Studien, dass der empfangende Part immer mehr Probleme damit hat, aber es gibt auch Studien, die das nicht unterstützen. Ich denke zum Problem wird es erst, wenn da über lange Zeit viel Stuhl im Rektum ist und sich dadurch der Darm immer weiter dehnt.
Fällt dir ganz zum Schluss noch etwas ein?
Das wichtigste ist, auch im Vorfeld schon, für einen guten, regelmäßigen Stuhl zu sorgen. Und mach Beckenbodentraining, egal wie alt oder fit du bist, das gehört auch immer dazu. Training geht hier auch in beide Richtungen, also das Anspannen und Entspannen.
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