Beckenboden To Go – Folge 9: Inkontinenz

Heute begrüßt das Bewegungszentrum Norderstedt im Podcast „Beckenboden to go“ Alexandra Schäfer. Alexandra Schäfer ist studierte Physiotherapeutin, spezialisiert auf die Beckengesundheit. 

In der heutigen Folge geht es um die Urininkontinenz.

 

Ist Inkontinenz ist ein Thema, das nur ältere Menschen betrifft?

Es betrifft viele ältere Menschen, da vor allem im Alter auch das Risiko ansteigt. Aber auch jüngere Menschen sind betroffen, vor allem Frauen. Frauen sind oft häufiger betroffen als Männer und auch junge Frauen wie z.B. Athletinnen sind betroffen. 

Jenach Sportart klagen zwischen 10 und 80 % der Athletinnen über Inkontinenz. Bei Männern steigt das Risiko vor allem nach Prostata-Operationen.

 

Gibt es unterschiedliche Arten der Inkontinenz?

Es wird grob zwischen vier unterschiedlichen Arten unterschieden, wobei zwei davon am häufigsten auftreten.

 

1. Die Belastungsinkontinenz:

Das ist der unwillkürliche Urinabgang, wenn der Druck im Bauchraum

ansteigt. Dies kommt z.B. beim Husten oder Niesen vor. Und ist die häufigste bzw. die bekannteste Form.

 

2. Die Dranginkontinenz

Das ist der unwillkürlicher Urinabgang zusätzlich mit dem Drang zur Toilette zu müssen.

 

3. Mischung aus Drang- und Belastungsinkontinenz.

 

4. Die Überlaufinkontinenz:

Die Blase läuft über, weil sie zu voll ist und vorher keine entsprechenden Signale zur Urinentleerung gesendet wurden.

 

Woher weiß die Blase, dass sie voll oder leer ist?

Die Blase besteht aus verschiedenen Schichten. Die äußerste Schicht ist der Muskel, ein glatter Muskel, den wir nicht bewusst ansteuern können. An der Blasenwand haben wir viele Rezeptoren, die uns melden, was die Blase macht.  Die Nerven schicken die Nachrichten an das Rückenmark und von dort geht die Information weiter an das Gehirn. Wenn die Blase gedehnt wird (ähnlich wie ein Luftballon), wird dabei der Nerv angeregt. Und diese Dehnung löst dann den Drang des Toilettengangs aus. Eine „normale“ Blase schickt am Anfang milde Signale und je voller die Blase wird, desto intensiver werden auch die Signale. Wir sollten aber immer in der Lage sein, die Blase zu beruhigen, auch wenn Sie sehr voll ist. Erst wenn wir dann auf der Toilette sind, entleert sich die Blase, indem sich der Blasenmuskel zusammen zieht und der Beckenboden sowie der Schließmuskel entspannen.

 

Wann meldet sich die Blase das erste Mal? Wann bekommen wir ungefähr das erste Signal?

Das variiert sehr stark, aber in der Regel ab ca. 250 – 300 Milliliter können wir spüren, dass etwas in unserer Blase ist, aber noch nicht so, dass wir zur Toilette müssen. Die Blase entlässt zwischen 300 – 500 Milliliter beim Wasserlassen.

 

Wieviel Gesamtvolumen hat die Blase?

Normales Blasenvolumen am Tag sind bis 500 Milliliter, aber die Blase kann sich vor allem nachts deutlich mehr füllen. 

Auch 600 – 700 Milliliter schaden nicht direkt. Es gibt sogar Ausnahmefälle, da kann die Blase ein Volumen im Literbereich annehmen, aber da wird sie sich vermutlich auch nicht mehr von erholen.

 

Soll man nachts auf Toilette gehen?

Eigentlich nicht. Normalerweise geht Mensch über den Tag verteilt 4 – 6/7 Mal auf Toilette und nachts zwischen 0 und 1 Mal. Einige Quellen sagen allerdings, dass man erst ab 50 nachts zur Toilette gehen sollte. Es kommt häufig auch auf die Getränke am Abend an. Deswegen macht es auch Sinn, seine Getränke über den Tag hinweg zu verteilen und nicht abends alles zu konsumieren.

 

Was passiert bei der Belastung, wenn ich keine Belastungsinkontinenz habe? Wenn ich z.B. hüpfe oder niese?

Wenn wir uns die Blase vorstellen, ähnlich wie ein Ballon, die sich mit Urin füllt. Der Druck in der Blase darf nicht höher sein, als der Druck an unserer Harnröhre. Sobald der Druck der Blase größer ist, als der Druck des Haltens unserer Harnröhre, verlieren wir Urin. Die Beckenbodenmuskulatur sowie die Schließmuskeln unterstützen die Blase beim „Dichthalten“.

 

Was ist passiert, wenn eine Belastungsinkontinenz vorliegt?

Es gab zu wenig Druck an der Harnröhre, als es Druck oben an der Blase gab. Daher kann der Urin aus der Harnröhre raus. 

Dies kann unterschiedliche Faktoren haben.  Es kann bspw. sein, dass die Muskulatur zu schwach ist durch z.B. eine Geburt oder Operationen.  Die Muskulatur ist, obwohl sie alles richtig macht, einfach zu schwach. Es gibt aber auch Fälle, wo die Muskulatur super stark ist, die Frauen und Männer auch gut anspannen können, aber nicht zur richtigen Zeit. Das heißt es liegt hier ein Koordinationsproblem vor. Das Dritte Problem ist die Überaktivität, wenn die Muskulatur zu stark angespannt ist, also “verspannt” und von vornherein nicht richtig entspannen kann, dann kann sie nicht auf diesen Extradruck reagieren und das führt ebenfalls zur Belastungsinkontinenz.

 

Wie finde ich heraus, was davon auf mich zutrifft?

Es ist teilweise wirklich schwierig und manchmal braucht man auch einen Beckenboden-Check, um das herauszufinden.

Natürlich gibt es Faktoren, die für eine Überaktivität sprechen. Wenn jemand z.B. Probleme mit Darm- und Beckenentleerung hat, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Das sind Zeichen dafür, dass die Muskulatur überaktiv sein könnte. Generell ist es aber schwer eine Aussage zu treffen, da es sehr individuell ist und auch oft eine Mischform vorliegt. 

 

Ich habe den Beckenboden-Check machen lassen und ich weiß jetzt, woran es liegt.

Wie sieht die Behandlung aus?

Wenn die Muskulatur zu schwach ist, dann ist das erste Ziel die Muskulatur zu kräftigen und je nachdem, wo die Patientin/ der Patient steht, stelle ich ein Kräftigungsprogramm zusammen, um die Muskulatur aufzubauen. Genauso wie man andere Muskeln im Körper auch aufbauen würde. Bei einer überaktiven Muskulatur würde es dann um Entspannung, Dehnungen und Stressreduktion mit Meditation gehen. Der Behandlungsplan richtet sich immer nach den konkreten Bedürfnissen.

 

Außer den muskulären Problemen gibt es noch weitere Schwierigkeiten. Wie zum Beispiel die Überbeweglichkeit.  Wir haben Faszien als Bindegewebe zwischen Harnröhre, Blase und Vagina und teilweise ist es zu beweglich. Das heißt, der Druck, der vom Bauchraum kommt, führt plötzlich nicht mehr zum Verschließen.

 

Als Vergleich:

Die Harnröhre kann sich wie ein Gartenschlauch vorgestellt werden. Wir legen diesen Schlauch auf einen festen Untergrund und treten durch, üben als Druck aus. Dann führt dieser Druck zum Verschließen. Liegt der Schlauch aber auf einem weichen Untergrund, bspw. einem Trampolin, der nachgibt, dann führt das zu keinem verschließen. Und auf dieses Verschließen sind wir angewiesen.

 

Hilft bei zu weichen Faszien ebenfalls das reine Beckenbodentraining?

Beckenbodentraining kann helfen, aber da gibt es auch andere Therapiemöglichkeiten, da das Beckenbodentraining länger braucht und es nicht zwangsläufig gesagt ist, dass es hilft. Weil wir das Bindegewebe nur bedingt durch Muskeltraining unterstützen können. Besser geeignet wäre z.B. eine Pessar-Therapie. 

 

Gibt es Medikamente oder weitere Therapiemöglichkeiten für die Belastungsinkontinenz?

Bei Frauen in den Wechseljahren kann es Sinn machen, beim Gynäkologen einmal nachzufragen, ob ein Östrogenmangel vorliegt. Denn der Mangel an Östrogenen kann dafür sorgen, dass die Durchblutung an der Harnröhre geringer wird und somit der Druck an der Harnröhre geringer und der Druck an der Blase größer wird.

 

Wie nehme ich das Östrogen?

Das wird in der Regel durch Zäpfchen oder Creme lokal angewandt.

 

Was ist der Unterschied zwischen Drangsymptomatik und Dranginkontinenz?

Die Drangsymptomatik also das Symptom, dass wir eine überaktive Blase diagnostizieren, bedeutet, dass ein starker, imperativer Harndrang, der sehr plötzlich, sehr stark und unerwartet kommt.  Der ist häufig so übermächtig, dass damit schlecht umgegangen werden kann, die Betroffenen sich sehr unwohl fühlen und schnell auf Toilette rennen. Das kann mit und ohne Inkontinenz vorkommen. Wenn es mit Dranginkontinenz vorkommt, dann kommt der Drang zusammen mit einem unwillkürlichen Urinabgang.

 

Wie entsteht dieser plötzliche Drang?

Der Drang hat viel mit den Nerven zu tun. Das heißt die Nerven schicken zu schnell, zu viele, zu starke Signale.

 

Kann es sein, dass bestimmte Lebensmittel oder Getränke zu der Dranginkontinenz beitragen?

Koffein, Alkohol, Kohlensäure sowie Zucker sind Stoffe, die den Blasenmuskel reizen können.

 

Gibt es Medikamente, die bei Dranginkontinenz unterstützen können?

Es gibt Medikamente zur Behandlung von Dranginkontinenz. Diese Medikamente bewirken, dass die Rezeptoren die Dehnungssignale nicht so schnell senden.

 

Hilft da klassisches Beckenbodentraining überhaupt?

In Studien kommt das Training oft nicht gut weg, da viele Menschen mit überaktiver Blase tendenziell keine schwache Beckenbodenmuskulatur haben. Bei einer Schwäche macht es Sinn, den Beckenboden zu trainieren, bei einer überaktiven Blase ist meist eher die Entspannung wichtig. Stressabbau und Stressmanagement sind hier die Faktoren, die vermutlich eher helfen, weil spätestens das häufige „zur Toilette müssen-Gefühl“ Stress auslöst.

 

Was hältst du von viel trinken?

Zu viel trinken führt zu häufigem Harndrang und Häufigem entleeren. Es gibt Menschen, die trinken 4 – 5 Liter am Tag und scheiden diese Menge natürlich auch wieder aus. Man geht von 1,5 – 2 Liter am Tag als normale Flüssigkeitszufuhr aus.

Beim Blasenprotokoll wird 24 oder 48 Stunden aufgeschrieben, was wann getrunken wurde und wie viel Milliliter die Blase entlässt. Auch Faktoren, wie doll z.B. der Harndrang war, wird dort mit aufgeführt. Anhand dessen kann es auch Sinn machen die Trinkmenge zu reduzieren. Trinkt man bspw. normal 2 Liter, scheidet aber mehr aus, dann dehydriert der Patient/die Patientin. Das schnelle Auffüllen der Blase führt auch immer zu höherer Urinausscheidung, die Trinkmenge sollte also über den Tag verteilt aufgenommen werden.

 

Was ist Blasentraining?

Kleines Ausscheidungsvolumen mit hohem Harndrang sind Anzeichen für eine überaktive Blase. Wenn das auffällt, macht es Sinn die Blase zu trainieren. Sprich, der Blase beizubringen, dass sie nicht so schnell so starke Signale sendet. Hier gibt es verschiedene Techniken die Blase zu beruhigen. Zum Beispiel kann man Ablenkung benutzen oder über Nerven, also einen Druck auf der Klitoris, der Penisspitze oder dem Damm ausüben.  Durch diese Ablenkung versucht man den Toilettengang zu verzögern, um dann nach und nach die Blase zu dehnen. Bei „normalem“ Volumen geht es dann eher darum die Blase zu beruhigen und dann zur Toilette zu gehen. Es gibt einen Akkupressur-Punkt zwischen Nase und Oberlippe, der reflektiert den Dammbereich und der Druck bzw. ein Reiben dazwischen, kann dazu führen, dass sich die Blase beruhigt. Das Blasentraining kann einige Woche oder Monate dauern.

 

Helfen die Techniken auch, wenn mich bspw. immer, wenn ich an der Tür bin, den Schlüssel im Schloss habe, dieser Drang überkommt?

Ja, da helfen die Techniken auch. Diese Situationen sind sogenannte Trigger. Die Blase hat sich das so angewöhnt, dass wenn wir z.B. nach Hause kommen, die Blase „losgeht“. Wenn man so eine Situation hat, dann sollte man die Techniken anwenden, bevor man in die Situation kommt.

 

Was hilft bei der Misch-Inkontinenz?

Da muss man herausfinden, was aus beiden Therapieformen für die individuellen Symptome hilft.

 

Was passiert bei der Überlaufinkontinenz?

Das bedeutet, dass die Blase überläuft. Sie wird zu voll und wir verlieren Urin. Das kann muskuläre oder neurologische Ursachen haben. Diese müssen vorerst abgeklärt werden.

 

Was ist Tens?

Tens ist eine Nervenstimulation. Es werden Elektroden auf die Haut geklebt und die Nerven werden punktuell behandelt. Diese Therapieform ist günstig, praktisch und leicht zu Hause und in der Physiotherapie anwendbar. Durch die neurologischen Reize werden die Nerven und die Informationen, die sie senden, angepasst und verändert.

 

Was hältst du vom Bio-Feedback-Trainingsgerät bei Belastungs- oder Dranginkontinenz?

Wenn jemand eine schwache Beckenbodenmuskulatur hat und vor allem Schwierigkeiten mit dem Anspannen hat oder die Zeit nicht findet, dann können diese Geräte hilfreich sein. Es ist aber nicht empfohlen dies zu nutzen, ohne dass

man weiß, dass eine Schwäche vorliegt. Man kann das Problem bei „falscher“ Anwendung mit diesen Geräten verstärken.

 

Dein Fazit:

Urininkontinenz ist häufig und wird oft als normal angesehen, aber der Verlust von Urin ist nicht normal und kann sehr gut behandelt werden!


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